...Totentanz

■ »Noch ist nicht aller Tage abend« nach Selma Lagerlöf von der Werkstattbühne Berlin im Theater Forum Kreuzberg

David Holm, der unverbesserliche Rüpel, der alle Menschen, die in seine Nähe kommen, ins Unglück stürzt, kommt völlig trunken in die neueröffnete Mission, grunzt und murrt und fällt sofort in Schlaf. Edith, die aufopferungssüchtige Heilsarmeesoldatin, nimmt das als ein Omen: der übelsten Einer ist von Gott geschickt und soll den Wert der Liebe prüfen. So näht sie unverzagt und über Nacht des Lumpen Lumpen neu zusammen, doch dem paßt die gottesfürchtige Näharbeit nicht unter den sündigen Leib, und er zerreißt sie wieder, bevor er sich erneut davonmacht.

Aufopfernde Liebe, die mit sich hadert und fragt, ob sie nicht zu selbstsüchtig dem Gang des Guten entgegensteht, und das erkenntnisfördernde Zwischenreich der Toten, wo der Verderbliche seiner sterblichen Übelhülle entledigt zur geistvollen Einsicht gelangen kann — das sind notwendige Ingredienzien, mit denen die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1858-1940) seinerzeit der Menschlichkeit den Weg zu bahnen hoffte. Ihre Novelle Der Fuhrmann des Todes ist ein harscher Moraltorpedo, der mit ungebrochenem Optimismus die Läuterung des Bösen, Faulen, Kranken auf den rechten, auf den christlichen Weg geleiten möchte. Die ins spirituelle Tintenfaß getauchte Feder knarrt recht altertümlich auf dem vergilbten Papier der Pädagogik, das seinerzeit die Nationale Liga zur Bekämpfung der Tuberkulose stellte, denn von ihr kam die Anregung zum Sujet.

Die Gruppe um die Regisseuse Ulrike Kirsten Hanne hat, so gut es ging, den moralapostolischen Schriftzug überschwärzt und verkündet: »Noch ist nicht aller Tage abend«. Mit hellem Glockenklang und dumpfem Trommelschlag kündigt sich ein Spiel auf völlig leerer Bühne an. Der Eifer geht ganz aufs Übersinnliche, das mit planem Realismus nicht zu zwingen ist. So wird ein Totentanz daraus, der mit einer Aneinanderreihung verschiedener Szenen eine fühlige Atmosphäre herstellt: »Ein leises Materialisieren von unsichtbaren, immateriellen Dimensionen«. Das verlangt vom Publikum viel Phantasie, und manch einer dürfte mit seiner effektverwöhnten Speckschwarte durchs spartanische Nadelöhr der kargen Seherlebnisses kaum passen: Ein bißchen pädagogisch ist das am Ende doch und würde allzu penetrant geraten, wären da nicht die eingestreuten Szenen, in denen derb- lustige Fastnachtsmasken ihre Späße trieben und die Gliederpuppen von Bughild Eichheim für skurrile Stimmung sorgten.

Trotz der brillanten Schauspielleistung von Martin Schwartengräber und Jakob Fischer wirkt das Spiel der leibhaftigen Menschen dagegen allzu harmlos. David Holm ist hier kein Koloß des Bösen, sondern ein ganz netter, etwas fahriger Kumpel. Zynisches Gefälle bleibt hier außen vor und nimmt die Sprengkraft aus den Szenen.

So erscheint das Unternehmen nobel — wie der Preis, den die Autorin 1909 von ihrem Heimatland zuerkannt bekam. ba

Im Theater Forum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21, 1/36. Bis 27.10., jeweils Do-So 20.30 Uhr