ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Das Wetter klar, die Bahn trocken und schnell

Das vergangene Jahrzehnt bescherte den Jazzfans zwar keinen prägenden Stil und keinen neuen Helden, dafür aber eine bemerkenswerte Vielfalt koexistierender Idiome aus einem ganzen Jahrhundert Jazzmusik. Erstaunlich war jedoch nicht so sehr das Nebeneinander verschiedener Stile, das gab es auch schon zuvor, sondern ihre gleichzeitige Präsenz im Repertoire bestimmter Musiker. Einigen gelang es, die Idiome produktiv zu durchdringen und kompetent zu mischen.

Der Komponist und Schlagzeuger Bobby Previte, aus dem Umfeld der deconstruction art wie John Zorn, Wayne Horvitz oder Robin Holcomb, ist seit 1985 als Bandleader aktiv. Sein diesjähriger Auftritt mit der Gruppe Empty Suits im Berliner Haus der Kulturen der Welt und die gleichnamige CD ließen ein polystilistisches Konzept erkennen: imaginäre Folklore, eingebunden in einen Rock-Jazz-Kontext mit Anleihen bei der Minimalmusik.

Anders als die Empty Suits mit ihrem stark elektronisch eingefärbten Klangbild ist Weather Clear, Track Fast eine akustische Band, ohne Gitarrre. Aber auch hier ist Previte der einfühlsame Begleiter, der jedem Musiker seiner Gruppe Improvisationsspielräume eröffnet.

Stilistisch ist Previte diesmal eindeutiger, mit klaren Bezügen zum Hardbop. Er zelebriert ihn jedoch nicht als Repertoire, sondern läßt ihn als souveräne Spielhaltung daherkommen, als ein Kommentar zu Titel und Thema: der Pferderennbahn, die auch die Hülle der CD schmückt. Das Titelstück Weather Clear umreißt die Szene. Das Wetter ist klar, die Bahn trocken und schnell, die Pferde werden gezeigt, die Favoritenwette ist im Gang. Hymnische Bläserriffs liegen in der Luft. Dann der Start. Nervöse Bebop- Improvisationen greifen Platz und enden in einem ausufernden Bariton-Sax-Solo Don Byrons. Previte nennt ihn einen „imagebreaker“, „der keine Angst hat, irgendetwas, zu jeder Zeit, an jedem beliebigen Ort zu spielen“. Die Bahn ist schnell, und Don Byron überschlägt sich schier.

Auf Backstretch, der Gegengeraden, wird zunächst auf die selbstbewußte Entfaltung der Kraft gesetzt, dann um die günstigsten Ausgangspositionen gerungen. Die Soli der Bläser und Anthony Davis' freies Pianospiel sind ineinander verwoben, minimale, sich wiederholende Läufe von Previte und dem Bassisten Anthony Cox sorgen für Tempo.

Beim Einlauf auf der Zielgeraden, das Photo Finish deutet sich bereits an, triumphiert der sensible und doch kraftvolle Ton von Robin Eubanks an der Posaune und die Virtuosität eines Anthony Davis, der weit, nach beiden Seiten gleichzeitig, in die Tasten greift und auf diese Art die Klangräume beachtlich ausdehnt. So kommt das Ensemble, wenn auch ohne Verlierer, ans Ziel.

Ebenfalls aus schwarzen und weißen Musikern besteht eine zweite Traumband aus New York, das Septett um den Alt-Saxophonisten Arthur Blythe. Er, der Ende der siebziger Jahre als glänzender Instrumentalist und Interpret der „Great Black Music“ von sich reden machte, zunächst von CBS gefördert, nach einer Reihe von Veröffentlichungen mit beliebiger Fusionmusik aber fallengelassen wurde, tourte zuletzt mit dem World Saxophone Quartet. Den Baritonsaxophonisten Hamiet Bluiett verpflichtete Blythe ebenso für sein neues Werk wie Tuba-Spieler Bob Stewart und den Gitarristen Kelvin Bell, zwei Kollegen aus den frohen Tagen seiner ersten Erfolge, die mittlerweile selbst als Bandleader aktiv sind. Seit für Blythe die musikalische Konditionierung auf die vermeintlichen Belange des Konzerns endlich vorbei ist, schöpft er wieder experimentierfeudig aus dem riesigen Reservoir der schwarzen Musik. Nie epigonal, perfekt am Instrument, von jeder Tonlage angeregt bis in die Grenzbereiche des Alt-Saxophons, ist er ein prägnanter Solist und gruppendienlicher Leader, der die Chorarbeit nicht scheut: „Kontrapunkt und Wiederholung — Wiederholung, ohne monoton zu klingen, mit Veränderungen, das macht es interessant“, sagt Blythe. Und tatsächlich, das Titelstück der neuen CD Hipmotism blieb mir prompt nach dem ersten Hören als „Hypnotism“ falsch im Gedächtnis.

Bobby Previte: Weather Clear, Track Fast, Enja 60822

Arthur Blythe: Hipmotism, Enja 60882

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