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Kasernen als Faustpfand

Jetzt wollen auch die UNO und Gorbatschow in Ex-Jugoslawien vermitteln  ■ Aus Zagreb Thomas Schmid

Auf seiner ersten Mission im ehemaligen Jugoslawien ist der UN-Sonderbotschafter Cyrus Vance in Belgrad eingetroffen und nahm Gespräche mit dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Ante Markovic und dem serbischen Präsidenten Milosevic auf. Dieser wird am kommenden Dienstag ebenso wie sein kroatischer Gegenspieler Franjo Tudjman zu getrennten Gesprächen mit dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow zusammentreffen.

In Kroatien werden diese Aktivitäten auf diplomatischer Ebene mit Skepsis betrachtet, haben doch die Gespräche im Rahmen der EG den Krieg nicht stoppen können. Trotz der am letzten Donnerstag mündlich vereinbarten Zusicherung der Militärs in Den Haag, die Truppen aus Kroatien zurückzuziehen, ist nichts dergleichen geschehen. Die serbischen Kriegsziele, diejenigen Teile Kroatiens, wo es serbische Minderheiten gibt, von Kroatien abzutrennen, bleiben bestehen. „Die Serben werden niemals mehr in einem kroatischen Staat leben“, heißt es in Belgrad. Die Konsequenz: Die dort lebenden Kroaten werden aus diesen gemischt besiedelten Gebieten vertrieben und Zug um Zug eine neue Grenze aufgebaut. Die Verhandungen mit der EG haben an diesen Zielen nichts geändert.

Deshalb wird der Kampf um Südslawonien so erbittert geführt. Kroatische Medien haben der Stadt Vukovar längst den Rang „Heldenstadt“ verliehen. Seit fast zwei Wochen ist der Ort von Truppen der Bundesarmee umzingelt, nahezu täglich einem erbarmungslosen Artilleriefeuer ausgesetzt. Am Wochenende scheiterten zwei Versuche des Roten Kreuzes, der Stadt Nahrungsmittel, Medikamente und Ambulanzen zukommen zu lassen. Der 50 Fahrzeuge starke Konvoi, der von EG- Beobachtern eskortiert wurde, mußte angesichts des serbischen Sperrfeuers knapp zehn Kilometer vor der Stadt zweimal den Rückzug antreten. Einen dritten Versuch startete das Rote Kreuz am Sonntag nachmittag. Falls die Hilfe ankommt und die Schwerverwundeten aus Vukovar herausgeschafft werden können, will die kroatische Regierung — wie mit dem Kommandeur der Nordregion General Andrija Rasita ausgehandelt — die Blockade der Borongaj-Kaserne in Zagreb beenden.

Am Samstag schon konnte etwa die Hälfte der 500 Soldaten mit 91 Lastwagen und ihren Waffen, das seit einem Monat belagerte Armeequartier verlassen. Die Truppen sollten — so die Vereinbarung — unter Überwachung von EG-Beobachtern nach Bihac in die Nachbarrepublik Bosnien-Herzegowina gebracht werden. Doch als am Samstag die Nachricht vom Scheitern der humanitären Aktion für Vukovar eintraf, machten die kroatischen Streitkräfte die Kaserne wieder dicht. Ein zweites Armeequartier in Zagreb, die Marschall-Tito-Kaserne, ist in diesen Deal nicht eingeschlossen und wird weiterhin belagert.

Während die Armee am Wochenende in Ostslawonien Vukovor und Osijek angriff und in Westslawonien die Stadt Lipik einnahm, operieren in unmittelbarer Nähe von Karlovac serbische Freischärler. Sie überfielen mindestens drei kroatische Dörfer und massakrierten kroatischen Angaben zufolge eine unbekannte Zahl von Zivilpersonen.

Unklarheit bestand am Sonntag über die Sitiuation der kroatischen Hafenstädte. Während das Informationsministerium am Freitag bekanntgab, die Blockade der Adriahäfen Zadar und Rijeka sei zum Teil aufgehoben worden, sind die Angaben über die Situation in Split und Pula wiedersprüchlich. Dubrovnik, das seit zwei Wochen von Trinkwasserzufuhr und Elektrizität abgeschnitten ist, soll entgegen Angaben vom Samstag, weiterhin völlig blockiert sein.

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