Bosnier sympathisieren mit Kroaten

Selbst die Verbindung zwischen Bihac und Zagreb ist unterbrochen/ Im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet hängen in Deutschland arbeitende Gastarbeiter fest/ Dörfler behindern die Armee  ■ Aus Bihac Thomas Schmid

„Nach Zagreb wollen Sie?“ Die junge Dame im Tourismusbüro in Sarajevo schaut mich ungläubig an. Dann geht sie zu ihrer Kollegin hinüber, tuschelt etwas und klärt mich auf, daß im Land Krieg herrsche. In friedlichen Zeiten erreicht man die 300 Kilometer nordwestlich liegende Hauptstadt der Nachbarrepublik Kroatien nach sechsstündiger Zug- oder Autofahrt oder in einer halben Stunde im Flug. Doch längst ist der Flughafen der zweitgrößten Stadt Jugoslawiens gesperrt. Straßen und Eisenbahnlinien sind blockiert. Jetzt soll es nur noch in Bihac ein Schlupfloch geben — ein Geheimtip. Aber auch die Tourismusfrauen wissen nichts Genaues.

Nach sieben Stunden Bahnfahrt komme ich in Bihac, einer Kleinstadt im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas, an. Die Hauptstraße nach Zagreb ist seit einem Monat gesperrt, aber die Nebenstraße über Velika Kladusa — der Geheimtip — soll offen sein. Jedenfalls sei in der Molkerei Milch aus Karlovac angekommen, behauptet jemand, und Karlovac liegt auf kroatisch kontrolliertem Gebiet kurz vor Zagreb. Nach einem kurzen Besuch bei der Molkerei bestätigt sich das Gerücht. In der Berglandschaft mit fetten Kühen könnte man sich in der Schweiz wähnen, wenn da nicht immer wieder weiße Minarette am Horizont auftauchten: 92 Prozent der Bewohner des Grenzortes Velika Kladusa sind Moslems.

Grenzort? Ja, 200 Meter hinter der Sperre der bosnischen Miliz ist die Grenze zum unabhängigen Staat Kroatien. Dort — hinter einer Kurve verborgen — steht allerdings kein Kroate, sondern ein Serbe. Zagreb liegt noch 110 Kilometer entfernt, aber die ersten 30 davon führen durch ein Gebiet, das von serbischen Freischärlern kontrolliert wird und wo die kroatische Bevölkerung ihre Dörfer verlassen mußte. Auch die Miliz des weiter südlich gelegenen „autonomen serbischen Gebiets Krajina“ ist in diesem Gebiet gesichtet worden. Die Tschetniks, wie hier unterschiedslos alle regulär bewaffneten Serben genannt werden, halten sich in den Wäldern auf beiden Seiten der Straße auf. Und wenn nur ein Bruchteil dessen stimmt, was hier über diese Soldateska besoffener Rabauken erzählt wird, ist es angeraten, nicht weiter vorzudringen.

Oben wartet eine Schlange von gut zwei Dutzend Privatwagen, durchweg mit österreichischen oder deutschen Kennzeichen. Es sind jugoslawische GastarbeiterInnen, die zum Teil schon sechs Tage in diesem gottvergessenen Nest auf ihre Weiterfahrt warten. Rudi, ein 25jähriger Maurer aus Wien und seine Frau Mirinja aus Sarajewo warten mit ihrer dreijährigen Tochter Sabrina erst seit drei Tagen, sind aber mit Nerven und Geld schon ziemlich am Ende. Beide müßten schon seit einem Tag wieder in Wien arbeiten, doch dort weiß niemand von ihrem Mißgeschick. Überdies haben sie gerade noch 1.000 Schilling, 140 D-Mark, bei sich, nachdem sie ihren Tank und einen Kanister für umgerechnet fünf D- Mark den Liter gefüllt haben. Benzin ist längst rationiert, und wo es welches gibt, steht man gut und gern einige Stunden an, um dann doch horrende Schwarzmarktpreise zu zahlen. Vor sechs Tagen erst, just bevor die Grenze dann geschlossen wurde, waren sie von der anderen Seite kommend, durch dieses Dorf nach Sarajewo gefahren, um Mirinjas alleinstehender Mutter Bares zu bringen. Seit zwei Monaten kann sie das Geld, das ihr die beiden aus Wien anweisen, bei der Bank nicht mehr abheben. „Die Konten sind gesperrt, weil der Krieg finanziert werden muß“, vermutet sie.

Plötzlich kommt Bewegung in die Warteschlange. Ein Armeebus, so geht das Gerücht. „Die räumen mit den Tschetniks auf und machen uns den Weg frei“, hofft eine mit Duisburger Nummernschild, „und dann werden wir nach Karlovac eskortiert.“ Doch die Einheimischen wissen es besser. Als der Armeebus tatsächlich durch das Dorf kriecht, stellen sich ihm einige in den Weg, und schon bald blockieren an die 200 DorfbewohnerInnen, Frauen und Männer in jedem Alter, die Straße. Sie wollen verhindern, daß die Armee weitere Truppen gegen die Kroaten herbeischafft. Die Sympathie der Moslems für die Kroaten ist nicht weniger deutlich, als ihre Verachtung für die Tschetniks. Schließlich steigt ein Offizier aus, ein örtlicher Milizsoldat kommt hinzu. Es entwickelt sich eine hitzige Diskussion. Die etwa 80 bewaffneten Soldaten im Bus drücken ihre Nase an der Scheibe platt. Plötzlich öffnet einer von ihnen die Türe, rennt aus dem Bus, schreit eine Parole, erntet von den DörflerInnen Applaus und wird von einer Gruppe älterer Frauen in Pluderhosen, wie sie hier die moslemischen Frauen auf dem Land überall tragen, in Sicherheit gebracht. Ein Deserteur. Nun verlangen die DörflerInnen, daß die Bustür geöffnet wird. Die Soldaten sollen sich der Diskussion stellen. „Die wissen gar nicht, was sie erwartet“, schreit einer mit hochrotem Kopf. „Zumindest sollen sie wissen, wofür sie sterben werden.“ Doch so weit kommt es nicht. Der Offizier steigt entnervt wieder ein. Der Bus fährt zurück Richtung Serbien.

Die Grenze bleibt geschlossen. Nur eine alte Bäuerin, die es sich auf dem Heu in ihrem schmalen Pferdewagen bequem gemacht hat, zuckelt mit ihrem Gaul am bosnischen Grenzposten vorbei. Der Milizsoldat schreit. Doch sie wendet sich nicht um. Sie hat wohl schon mehr als einen Krieg miterlebt. Vielleicht ist sie auch nur schwerhörig.