Kleinkind vor Krebstherapie versteckt

■ Ein Elternpaar weigerte sich, die Tochter zur x-ten Chemotherapie in die Uni-Klinik zu bringen

Ulm/Markt Rettenbach (taz) — Mehr als zwanzigmal, sagt Hildegard Scharpf aus Markt Rettenbach (Landkreis Unterallgäu), hätte sie ihre leukämiekranke dreijährige Katharina schon in der Universitätsklinik Ulm zur chemotherapeutischen Behandlung gehabt. „Damals haben wir den Ärzten noch blind vertraut, aber Sie hätten mal unser Kind nach den Behandlungen sehen sollen.“

Hildgard Scharpf und ihr Mann haben das Vertrauen in die Schulmediziner der renommierten Ulmer Klinik verloren. Schwer angeschlagen sei Katharina gewesen, als sie sie am 29.Juli mitgenommen hätten. „Und die wollten nach einer kurzen Pause gleich wieder mit der Behandlung weitermachen, aber wir haben ein paar Tage herausgeschunden und das Kind heimgebracht.“

Hildegard Scharpf (29) und ihr Mann Alban (33jähriger Elektromeister) haben dann ihr Kind zur Behandlung „unter anderem zu einer Internistin und einigen Naturheilkundlern gebracht“, und nach geraumer Zeit sei es der Kleinen deutlich besser gegangen. „Das einzige, was Katharina plagt, sind im Moment die Nerven. Das Kind hat Riesenangst davor, wieder nach Ulm zu müssen, und da bringen wir sie auch nicht mehr hin.“

Das wiederum hält der Leiter der Kinderklinik an der Ulmer Uni, Professor Dr. Enno Kleihauer, für unverantwortlich. „Alternative Behandlungsmethoden haben nicht den Beweis erbringen können, daß solch kranken Kindern damit geholfen werden kann.“ Für die kleine Katharina bestünde bei der in Ulm angewandten zystostatischen Behandlung eine „90prozentige Heilungschance“. Andererseits würde jedoch die Anwendung alternativer Methoden „mit Sicherheit zum Tode des Kindes führen“. Genau deshalb müßten sich die Ärzte in seiner Klinik verantwortlich fühlen, und es sei einfach nötig gewesen, den Eltern das Sorgerecht abzuerkennen, „weil jeder Tag, den wir verstreichen lassen, die Überlebenschancen um ein Prozent sinken läßt“.

Am 19. September gab das Amtsgericht Memmingen dem Antrag der Klinik statt und entzog der Familie Scharpf das Sorgerecht. „Am Dienstag morgen war dann das Jugendamt da und wollte unsere Tochter abholen“, berichtet erbittert Hildegard Scharpf. „Aber wir haben sie versteckt.“

Die junge Mutter hat erst am Mittwoch nachmittag den Kölner Patientenanwalt Dr. Georg Meinecke (65) eingeschaltet. Der Rechtsanwalt nahm sofort Kontakt mit dem Jugendamt auf. Parallel dazu vermittelte er ein Treffen zwischen der kleinen Katharina, ihrem Vater und einem Kinderarzt, der ebenfalls auf naturheilkundlicher Basis arbeitet. Jetzt konnte er von einem ersten Erfolg berichten: „Ich denke, daß die Eheleute Scharpf ihre kleine Tochter Katharina in eine Uni-Klinik ihres Vertrauens bringen werden, um sie dort einer geeigneten Behandlung zuzuführen. Auf diese Weise würde auch der Handlungsbedarf des Jugendamtes entfallen und auch die gerichtliche Anordnung aufgehoben werden.“ Oberregierungsrat Karl Bihler vom Landratsamt in Mindelheim zeigte sich erfreut. Der Einsatz von Polizeibeamten oder eines Gerichtsvollziehers zur Kindeswegnahme sei jetzt wohl nicht mehr nötig. „Wenn das Kind in eine andere Klinik kommt, die auch zu einer entsprechenden Behandlung berufen ist, dann sind wir sofort bereit, beim Gericht zu beantragen, daß den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind wieder übertragen wird.“

Hildegard Scharpf wird zusammen mit Mann und Tochter am Wochenende zu einem ersten Vorgespräch in eine Klinik fahren. „Trotzdem: So kann man nicht mit Eltern umspringen.“ Obwohl die jüngsten Gespräche mit dem Jugendamt in freundlicher Atmosphäre verlaufen sind, wird sie nie vergessen, wie die Beamten vor ihrer Tür standen, um ihr Kind zur Zwangseinweisung abzuholen. Klaus Wittmann