taz-Serie: Bremer Zeichner und Karikaturisten (Teil 1)

■ Harm Bengen, der mit den dicken Nasen

Mann mit

Harm Bengen, gesehen von Falk Heller

Eine ländliche Apotheke, mit härtestem Bleistift ganz klein skizziert, darunter in Winzformat ein brillentragender Dämel, der sich zu einem vollbusigen Mädchen hinüberlehnt, zwischen ihnen lauter leere Sprechblasen und unter den Skizzen in kleinstdenkbarer Handschrift Dialoge wie: „Führen Sie auch Präservative?“ — „An was hatten Sie denn so gedacht?“ — „Können Sie mir welche im praktischen Einsatz zeigen?“ Das ist ein Comic-Drehbuch. Nach dieser akribisch ausgeführten Vorlage entstand Harm Bengens „erotische Horrorkomödie“ Sandra Bodyshelly, eine Vampir-Persiflage, vollgestopft mit Gags und den immensen Oberweiten der Protagonistinnen. Im Mittelpunkt steht die Liebe zwischen einer Vampirin und einem Burgfräulein, die Originalversion der Geschichte sorgte im victorianischen England für Skandale.

Ein Comic, der das Zeug zum Erfolg hat. Harm Bengen, Bremer Karikaturist und Comicautor, hier bestens bekannt als Zeichner des „Startcartoons“ im Bremer Blatt, hat auf einem technisch hohen Niveau eine flotte, witzige Bildergeschichte realisiert, in der vor allem eins nicht fehlt: der Sex, ein Muß auf dem Markt. „Die Verlage verlangen

Brille

es, und außerdem sind 95% der Comic-Leser männlich“, weiß Harm Bengen und richtet sich danach. Er bevorzugt die „kindlich- spielerische“ Variante und besteht darauf, „nicht-voyeuristisch“ zu zeichnen. Im Gegensatz etwa zu den „fürchterlich gezeichneten Schwarz-Weiß-Porno-Comics — die gehen weg wie blöd.“ Sandra Bodyshelly, '90 herausgekommen, ist inzwischen schon ins Italienische, Französische und Niederländische übersetzt worden, ein zweiter Teil ist in Vorbereitung. Er wird zum Erlanger Comicsalon '92 erscheinen.

Ist Harm Bengen erfolgreich? Immerhin lebt er (seit 13 Monaten mit Familie) schon fünf Jahre von der Zeichnerei, wobei er allerdings seinen Etat mit lettering, dem Übertragen von deutschen Texten in ausländische Sprechblasen, abrundet. Neben dem Bremer beliefert er auch das Hamburger Stadtmagazin Oxmox; U-Comix und Schwermetall drucken ihn, er gehört zu den Witzezeichnern des Semmel-Verlachs, und das Ostfriesland-Magazin hat ihm im Frühling fünf Seiten gewidmet. Er ist in der Szene durchgesetzt und wird von der Hamburger Agentur Becker- Derouet vertreten. Und doch: Mit seinem Einkommen bewegt er sich „nur knapp über Sozialhilfe- Niveau.“

Der Output ist begrenzt für einen, der an einem Comicband über ein Jahr sitzt. Wie ein Filmregisseur arbeitet er mit Totalen, Halbtotalen, Zooms, angeschnittenen Profilen und Rückblenden. Gewissenhaft kalkuliert er die Leserichtung ein: Springt eine Katze aus dem Bild, muß sie nach rechts raus. Schließlich legt Bengen mit Buntstiften bis zu zehn Farbschichten übereinander: Opulente Szenen verlangen räumliche Tiefe!

Möglicherweise ist Harm Bengen sogar ein glücklicher Mensch. In seiner kleinen Gröpelinger Wohnung — am Briefkasten: „DIN A4-Umschläge bitte nicht knicken!“ — sitzt er in seinem mit Micky Maus, Fix und Foxi und anderen Bilderbüchern randvollen Arbeitszimmer und scheut nicht das Klischee: „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.“ Denn der geborene Ostfriese (1955 in Arle bei Norden) hat zwar schon auf Kindesbeinen aus den pädagogisch verrufenen Heftchen gepaust, doch zunächst was „Richtiges“ gelernt: Farblithograph war er, Retoucheur, Layouter. Dann besuchte er die damalige Hochschule für Gestaltung in Bremen: „Überflüssige Mühe,“ meint er heute, „da lernten wir, wie man eine Tabakpackung entwirft, alles auf Werbung ausgerichtet.“ Damals zeichnete er für die Kommunistische Volkszeitung des KBW „Politikerkarikaturen nach strengen Vorgaben.“ — „Damit konnte ich mich dann schlecht bei Werbefirmen bewerben.“ Er versuchte es dann doch: eine Woche lang, erfolglos. „Das Zeichnen war immer schon meine schönste Erholung“ — das konnte er fortan ausführlich haben. Und tatsächlich: Den Job, für eine Reisezeitschrift zu zeichnen, schmiß er, weil ihm nichts mehr zum Thema einfiel. Harm Bengen reist nicht, sondern erholt sich bei Pinsel, Feder und Rapidograph.

Harm Bengens komische Produktion hört nie auf. In der Tagesschau, an einer Haltestelle: eine dicke Nase, eine alltägliche Absurdität, da macht er auf der Stelle eine Skizze. „Blödsinnige Einfälle“ gehen ihm nie aus. Im Augenblick macht er allerdings mal eine ganz ernsthafte Geschichte: einen Piratencomic über Störtebecker, frei nach dem aufzutreibenden historischen Material. Nach Original-Kostümen. Aber versehen mit den Bengen-Markenzeichen: einer Knollennase und großen Kulleraugen, über die meist schlaff und schwer die Augenlider hängen. So sahen '82 die maulenden Jünger aus, die sich unter Wasser postieren mußten, damit Jesus drüber laufen konnte; so guckten '86 die Zöllner nach Kontrolle des maschinenlesbaren Ausweises („Sie hochverschuldetes, perverses Ferkel mit Zweitwohnsitz in Wanne-Eickel! „); und so glotzt im neusten Bremer der verpennt-plietsche Protofriese Ulfert in Olfers Abenteuer als Gewinner des Friesenpreises des Buukhandels: mit Bauchladen. Zigarren, Zigaretten, Kondome. Burkhard Straßmann