»Man muß immer betrunken sein«

■ Spanische Kunst: Aktualität und Tradition: Malerei, Installationen und Skulptur in der Berliner Kunsthalle

Die Ausstellung, von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst organisiert, vergleicht Neues mit Altem, auf der Suche nach dem vielbeschworenen Bruch in der bildenden Kunst mit Ende der Diktatur 1975. Was aber von außen als voraussetzungsloser Neubeginn nach der Franco-Diktatur erscheint, läßt sich nicht ohne die reiche, wenn auch widersprüchliche Tradition der seit Ende des Bürgerkriegs existierenden Avantgarde verstehen. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus entstand unter Franco keine »offizielle Kunst«. Vergleicht man zum Beispiel Antonio Sauras abstrakt-wilde Silena (1957) mit dem Roten Kopf (1965) von Luis Gordillo, einem »pop-kubistischen« Portrait, lassen sich da gewiß keine staatlich verordneten Parallelen ziehen. Maria Ocón, Projektleiterin der Ausstellung: »In Spanien fängt man gerade erst an, die Zeit der Diktatur neu zu bewerten. Bislang galt, daß avantgardistische Kunst nur im Exil entstehen konnte. Mit dieser Ausstellung wollen wir zeigen, daß auch in Spanien unter Franco wichtige Künstler in Spanien arbeiteten. Bei spanischer Kunst denken die meisten nur an Picasso, der nie wieder nach Spanien aus dem Exil zurückkehrte.« Surrealismus und Informel, die wichtigen Kunstrichtungen im Franco- Spanien nach dem Bürgerkrieg, mußten kein Schattendasein führen, wurden sogar nach anfänglichen Schwierigkeiten von Staats wegen gefördert. Tápiez, Tharrats, Cuixart und Ponc, den Gründern der Gruppe »Dau al Set« gelang 1948 eine Neubewertung des Surrealismus, die sich vor allem an Miró, aber auch an Klee orientierte. Auf den Biennalen von Venedig und Sao Paulo Ende der fünfziger Jahre wurden die informellen Maler Millares, Rivera und Tàpies wie der Bildhauer Oteiza, vom Staat ausgewählte Künstler, gefeiert. In Anbetracht der Unfreiheit im eigenen Land reichten der abstrakt arbeitenden Avantgarde die Möglichkeiten des Informel Anfang der 60er Jahre nicht mehr aus. Pop-Art, figurative Malerei und kritischer Realismus wurden die Kunstformen der neuen Bewegung. »Wir haben die Ausstellung so angelegt, daß die dem Klischee nach ‘schlechte‚, unter Franco offiziell geförderte Kunst, der ‘Jungen reifen Generation‚, die ab 1985 entsteht, gegenübersteht.« Während sich mit Ende der Franco-Ära viele der jungen, neuen Künstler an der aktuellen internationalen Kunst orientieren, fängt zehn Jahre später die Auseinandersetzung mit der spanischen Moderne an. Mit dieser ‘jungen reifen Generation‚ setzt sich die Berliner Ausstellung auseinander.

Einer der jungen Künstler, die in den 80er Jahren Aufsehen erregten ist Miquel Barcelo. Seine Biblioteca (1984) erinnert an Kiefer, aber auch an Tàpies und Saura: Bücher als intellektuelle Auseinandersetzung und Anregung für den Maler. Grau ist alle Theorie. Die Bücher erinnern in ihrer Bewegtheit auch an das Meer, das grau ist wie bei der Nautilus (1987) von Miguel Angel Campano. Nah liegt auch der Bezug zu Sauras Silena, der Grauen. Auch in der Skulptur lassen sich diese Bezüge finden. Leerkörper. Experimentelles Ergebnis Nr. 1, ein aufgebrochener quadratischer Eisenmantel von Jorge Oteiza aus dem Jahr 1958 steht neben Pello Irazus Korrespondenzen, die 1988 entstanden sind, gleichzeitig mit Txomin Badiolas Twin I und dem Russe 4.

Doch die Ausstellung ist nicht nur Vergleich, nicht nur Rehabilitation. Sie sucht nicht den bitteren Ernst allein, sie will auch amüsieren. Nicht nur das finstere Spanien, das die Inquisition nicht so recht überwunden zu haben scheint, präsentiert sich hier. »Man muß immer betrunken sein, betrunken von Wein, Dichtung, von der Tugend«, formuliert Rogelio López Cuenca 1988 in seiner poetischen Verfremdung Toujours ivre und will damit Zeichen eines neuen Aufbruchs setzen. Wirklich komisch ist Der selbstgefällige Künstler von 1990, worin er seinen Berufsstand verunglimpft. Ein Motorradfahrer in Pop-Art-Manier, über und über mit Aufklebern bestückt, die für internationale Kunstmessen und Sponsoren werben, ironisiert die Kommerzkunst.

Heiter ist auch die Serie von Landschaften, 1980, von Carmen Calvo: unzählige Reihen kleiner, weißer Tonpalmen, zwischen denen kleinste Mosaiksteinchen funkeln, vermitteln die Leichtigkeit eines strahlenden Sommertages in einem mediterranen Hain. Diese zarte Helligkeit findet sich auch bei Manuel Hernández Mompó. Sein Markt (1984) ist eine Hommage an Lilablaßblau in allen Schattierungen. Vergleicht man seine Bilder in ihrer Farbigkeit mit den Werken seines Altersgenossen Manuel Millares, der wie er unter Franco in Spanien gearbeitet hat, ist der Unterschied frappierend. Düster und erschreckend sind die Sackleinenlandschaften von Millares. Zeltlandschaften gleich — Frei Otto, der Architekt des Münchner Olympiadachs hätte seine wahre Freude an den Netzgebilden — zerrupft er das Sackleinen, um es dann mit den düstersten Farben zu bepinseln. Wohl bedrückend doch wieder komisch ist dagegen Jose Maria Blanco White von seinen Häschern in London bedroht, von 1978. In einem Raum ein karges Möbel, auf einem Tisch eine Schneiderpuppe für Hemden. Und die wird beobachtet von unzähligen Augen. Der Vorhang besteht nur aus Augen, Augen auch hinter dem Schlüsselloch, Augen, die durch das Gemälde an der Wand hereinsehen. Eduardo Arroyos schizophrene Verfolgungsphantasie stellt die Angst vor dem Finsteren, Undurchdringlichen mit soviel Situationskomik dar, daß auch ein hoffnungsloser Pessimist ein Lachen nicht verkneifen kann. Die Kunst erlaubt sich, die Angst vor dem schwarzen Mann zu ironisieren. Franco is watching you. Lilli Thurn und Taxis

Spanische Kunst — Aktualität und Tradition . Staatliche Kunsthalle Berlin. Bis zum 27. 10. dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs Abendöffnung bis 22 Uhr