INTERVIEW
: „Sie kontrollieren das Denken der Mittelklasse“

■ Interview mit Prof.Dr.Pasuk Phongpaichit, Direktorin des Zentrums für Politische Ökonomie (Volkswirtschaftslehre) an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok

taz: Thailand gilt als ein Musterland für marktwirtschaftlich orentierte Entwicklung. Was waren die politischen Bedingungen für den Aufstieg?

Prof.Dr.Pasuk Phongpaichit: Es ist sehr interessant, daß im Falle Thailands der wirtschaftliche Aufschwung nach einer demokratischen Protestwelle Mitte der siebziger Jahre eingesetzt hat. Das bis dahin diktatorische politische System mußte sich damals öffnen, Parteien wurden gegründet und es entstand das halbdemokratische System, wie wir es nennen, weil Minister teils aus Militär und Bürokratie und teils aus Technokraten ernannt wurden. Seit 1976 erleben wir einen rapiden Aufschwung der exportorientierten Industrie, der sich nach 1986 mit Investitionen aus Japan und den asiatischen Schwellenländern (NICs) noch beschleunigt hat. Der Take-off gelang also in einer Periode demokratischer Entwicklung.

Welche Rolle spielte das Militär in Thailands Demokratie?

Zunächst, das Militär ist gegen die Demokratie. Sie erlauben Demokratie nur, wenn sie eine Möglichkeit haben, die Kontrolle zu behalten. Von 1977 bis 1987 hatten wir diese Halbdemokratie, in der das Militär auch noch den Senat (Oberhaus) dominierte. Als wir 1988 mit der Regierung Chatichai erstmals nur gewählte Abgeordnete als Minister hatten, wurde das Militär aus dem Zentrum der politischen und ökonomischen Entscheidung gedrückt. Seither haben die Generäle ständig versucht, zu einem Kompromiß im politischen System zurückzukehren, wo sie wieder in die Regierung ernannt werden können. Nach dem Putsch vom Februar will das Militär nun die Verfassung so ändern, daß Wahlen sie wieder an die Macht bringen — nun aber auf legalem Weg. So haben hohe Militärs jetzt die Samakkhitham Partei gegründet, mit der sie die Wahlen gewinnen wollen. Außerdem nimmt die Armee maßgeblichen Einfluß auf den Staatshaushalt, der nun verabschiedet wird, um genügend Geld für Waffenkäufe zu haben.

Was sind die politischen und sozialen Probleme und Risiken des rapiden Wirtschaftswachstums?

Dieser Entwicklungsweg ist gut für jene, die über Bildung und Vermögen verfügen. Wir sind aber mit der Wirtschaftskrise Mitte der achtziger Jahre durch eine Periode gegangen, in der die Landwirtschaft schwer zu leiden hatte. SaisonarbeiterInnen vom Lande konnten nun nicht mehr zurück und vermehrten die städtischen Armen. Die exportorientierte Industrialisierung hätte erwarten lassen, daß die neuen Arbeitskräfte absorbiert würden. Aber mit dem Zustrom von Auslandsinvestitionen wurde eine kapitalintensive Technik importiert, die soviel ArbeiterInnen nicht gebrauchen kann. So wachsen die Slums. Wenn die Wirtschaft nun absackt, bekommen wir mehr Slums, Streiks und Kriminalität. Darauf ist Bangkoks Mittelklasse aber nicht vorbereitet. Die wird dann eher autoritäre Kräfte, ein konservatives Militärregime unterstützen. Das ist sehr gefährlich, weil die Streitkräfte dann ihre Mittel einsetzen, um jeden öffentlichen Widerstand zu unterdrücken. Außerdem haben wir jetzt schon Konflikte zwischen dem Zentrum und der Landbevölkerung. Das zeigt sich in der Wiederaufforstung von abgeholzten Wäldern mit Eukalyptus-Bäumen. Dahinter steht das Interesse, Rohstoffe für eine Papierindustrie bereitzustellen. Die Bauern wollen Eukalyptus aber nicht, denn die Erde wird unfruchtbar und mit dem Regenwasser fließen die Schadstoffe auch in die Reisfelder. Die Armee ist daran auch beteiligt und es gab schon Zusammenstöße von Bauern und Soldaten. Ein anderer Streitpunkt ist der Bau neuer Staudämme, mit denen die Regierung Strom für die Industrie produzieren will. Die Städter und die Industrie wollen die Energie, die Bauern wollen aber ihre Felder und den Wald behalten. Das ist ein großes Thema hier. Dabei gibt es Studien, die belegen, daß durch Energiesparen keine neuen Wasserkraftwerke für die Industrie nötig wären.

Wie stehen die Chancen für eine Änderung der politischen Strukturen in Thailand?

Das ist zur Zeit ein großes Problem. Das Militär fühlte sich die letzten fünf bis sieben Jahre ins Abseits gedrängt. Jetzt versucht es, seine Position wieder auszubauen. Und es ist dazu in der Lage: Sie haben die Waffen, sie kontrollieren Fernsehen und Radio und damit das Denken der Mittelklasse. Der Kalte Krieg ist zu Ende, aber hier ist die Furcht vor dem Kommunismus in Indochina noch immer groß. Und jede Massenbewegung hier in Thailand — oder Parteien, die für ArbeiterInnen eintreten — sind des Kommunismus verdächtig. Das Militär hat die Macht im Innenministerium, dem wiederum unterstehen die lokalen Beamten auf dem Land. So ist leicht jede demokratische Bewegung zu unterdrücken. So wurde der Sozialkritiker Sulak Sivaraksa wegen ein paar Äußerungen angeklagt und mußte fliehen. Die meisten AkademikerInnen und Intellektuellen hier in Bangkok halten das für übertrieben; Herr Sulak ist nur ein Liberaler und er sollte nicht dafür belangt werden, daß er öffentlich das Militär kritisiert. Viele fühlen sich durch solche Ereignisse frustriert oder bedroht.

Was wir brauchen, ist eine weitere Öffnung des politischen Systems. Wir sollten rasch demokratische Prozesse einführen. Abgeordnete müssen ihren Wahlkreisen verantwortlich sein. Eine Verfassung so schnell wie möglich und Wahlen so schnell wie möglich sollten dabei helfen. Interview: Thomas Bonk

Frau Pasuk ist Mitorganisatorin des Gegenkongresses zur Weltbank/IWF-Tagung in Thailand.