INTERVIEW
: „Eine Ermutigung für die Demokratiebewegung“

■ Der britische Journalist und Birma-Experte Martin Smith über mögliche Reaktionen in Birma und im westlichen Ausland

taz: Was hat die Osloer Kommission dazu veranlaßt, den Preis Aung San Suu Kyi zuzuerkennen?

Martin Smith: Wohl am ehesten wegen ihres Ansehens in der birmesischen Bevölkerung. Birma wurde 26 Jahre lang von der brutalen Militärdiktatur des General Ne Win regiert. In 1988 kam es dann zu Aufständen, und schließlich gelang es, sein Regime zu stürzen. Es war die Zeit, als Aung San Suu Kyi aus dem Ausland zurückkehrte und von Menschenrechten sprach. Das war für die Menschen, die so lange von offenen politischen Diskussionen abgeschnitten gewesen waren, wie eine Offenbarung. Aung San Suu Kyi erklärte den Leuten, was Menschenrechte beinhalteten, wie ihre Einhaltung zu erzwingen sei. Und sie brachte ein Thema auf, das alle berührte: die Angst. In den 26 Jahren Militärherrschaft in Birma hatten die Menschen verlernt, offen zu sprechen. Aung San Suu Kyi sprach eine gänzlich neue Sprache. Und sie war von Beginn an akzeptiert, denn für sie sprach der Aung-San-Faktor: Ihr Vater war der große Held der Unabhängigkeit.

Welche Reaktionen wird es in Birma geben?

Es wird verschiedene Reaktionen geben. Die Menschen im Lande werden sich irrsinnig freuen. Denn in der Vergangenheit hatten sie eigentlich nie Grund, stolz auf ihr Land zu sein — ein letztes Mal, als U Thant Generalsekretär der UNO war. Seit seinem Tod Mitte der siebziger Jahre ist es in den Augen der meisten Birmesen nur noch abwärts gegangen. Dieser Preis könnte ihr Selbstwertgefühl erhöhen. Er ist eine enorme Ermutigung für die Demokratiebewegung, die seit 1988 nahezu volständig zerschlagen worden ist. Dagegen wird die gegenwärtige Militärführung eher irritiert reagieren. Sie werden sich schwertun mit dem Nobelpreis für die Dissidentin. Immerhin nehmen sie als Buddhisten für sich in Anspruch, ein friedliebendes Land zu sein. Und da kommt diese Aung San Suu Kyi daher und erhält den Friedensnobelpreis. Das ist für eine asiatische Frau in einem buddhistischen Land eine unglaubliche Aufwertung.

Was bedeutet der Preis für die Situation in Birma?

Das erstaunliche ist, daß Aung San Suu Kyi eigentlich nur elf Monate in den Straßen Birmas aktiv war. Sie kam zurück, hielt ihre erste öffentliche Rede im August 1988 und wurde im Juli 1989 vom SLORC unter Hausarrest gestellt, zusammen mit anderen populären Führern der „National League for Democracy“ (NLD). Manche von ihnen wurden gar zu 20 oder 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Und daß man Aung San Suu Kyi nicht auch den Prozeß gemacht hat, verdankt sie ausschließlich dem Ruf ihres Vaters. Sie hat sich geweigert, das Land zu verlassen. In dieser Zeit hat sich ihr Ansehen noch verstärkt. Angesichts der brutalen Repression muß man sich fragen, was die Militärs in Hinblick auf die internationale Aufwertung der Opposition jetzt unternehmen wollen. Sie werden sich bei ihren Bemühungen um internationale Anerkennung künftig stets der Frage stellen müssen, wann sie Aung San Suu Kyi freilassen. Wenn sie sie tatsächlich freilassen, bedeutet das die nachträgliche Anerkennung des Wahlergebnisses vom Mai 1990, das ihrer Partei den Sieg brachte.

Es heißt, sie habe bestimmte Bedingungen gestellt, wenn sie das Land verlassen sollte...

Ja, es gibt Gerüchte darüber, was Aung San Suu Kyi möglicherweise gefordert hat. So zum Beispiel wollte sie vorher eine Fernsehansprache halten und zu Fuß zum Flughafen gehen. Ich glaube, daß sie sich sehr wohl bewußt ist, daß sie nur im Lande eine wichtige Rolle spielen kann. In der Vergangenheit konnte sich das Regime unliebsamer Oppositioneller stets bequem entledigen. In diesem Falle dürfte das nicht gehen. Aber wenn sie Aung San Suu Kyi tatsächlich nach Oslo fahren lassen, um den Preis in Empfang zu nehmen, werden sie sie mit Sicherheit nicht mehr ins Land lassen, froh, sie endlich los zu sein.

Sie wird also nicht fahren?

Schwer zu sagen. Da die Militärs zur Zeit sehr brutal vorgehen, ist man sich in politischen Kreisen einig, daß die birmesische Demokratiebewegung eine Integrationsfigur auf internationalem Parkett braucht. Mit ihrer Wahl hat das Nobelpreiskomitee große Weitsicht bewiesen. In diesem Jahr fiel die Wahl auf eine streitbare Figur an der Spitze einer Menschenrechtsbewegung. Mich würde es allerdings überraschen, wenn sie das Land zu diesem Zeitpunkt verließe.

Welche internationalen Reaktionen sind zu erwarten?

Die Verleihung kommt zufälligerweise genau zum richtigen Zeitpunkt — jetzt wo der IWF und die Weltbank in Bangkok konferieren und Thailand wegen seiner Handelsbeziehungen mit Birma heftig kritisiert wird. Der Nobelpreis wird den internationalen Druck auf das Regime verstärken. Schließlich sind die Militärs dringend auf Entwicklungshilfe angewiesen, Birma ist so gut wie bankrott. Wenn man diesem Regime Hilfe zukommen läßt, wird es umso länger fortbestehen. Die NLD und das birmesische Volk wollen einen Handelsboykott, bis das Regime am Ende ist und die Demokratiebewegung gesiegt hat. Interview: Jutta Lietsch