„Wir müssen unsere Leser lieben“

■ Zwei LiteratInnen aus Riga sind in Bremen / Diskussion über die Literatur nach der Unabhängigkeit

Ingus Lininsch (l) und Dagnija Zigmonta (r) Foto: Jörg Oberheide

Dagnija Zigmonte, 57 Jahre, freie Schriftstellerin aus Riga, und Ingus Lininsch, 36, Übersetzer von deutschen Kinderbüchern ins Lettische, sprechen und diskutieren heute abend über „Die Rolle der Literatur nach der Unabhängigkeit Lettlands“. Der Bremer Autor Detlef Michelers, Vorstandsmitglied im Bremer Schriftstellerverband, der den Abend veranstaltet, kam mit ihnen zu einem Gespräch in die taz.

taz: Wie wird in Lettland jetzt Literatur produziert, verkauft, gekauft? Wovon kann eine Autorin in Lettland leben?

Lininsch: Bei uns kommt schnell die Marktwirtschaft. Die Situation ist nicht befriedigend: Es wird verlegt, was verkauft wird. Das ist nicht immer gute Literatur. Früher war das Buch Mangelware, trotz niedriger Preise und hoher Auflagen. Jetzt sind die Preise sehr gestiegen, und es gibt eine große Auswahl.

Die Autoren waren gewöhnt: Wenn estwas geschrieben ist, wird es veröffentlicht. Jetzt ist es wichtig, ob der Verlag daran verdient. Leider ein hartes Gesetz. Ich arbeite im ersten Rigaer Kinderbuchverlag, da ist die Situation etwas besser, sowas wird immer gekauft.

Detlef Michelers: Es gibt auch Probleme mit den Lizenzen.

Lininsch: Früher lief das über Moskau: Wir bezahlten Autoren

Mann + Frau

Honorare in Rubel, und Moskau machte die Abrechnung mit dem Westen. Jetzt müssen wir das selbst machen. Aber weil die Verlage keine Devisen haben, schreiben wir an die Westautoren, suchen Auswege — in Rubeln könnten wir bezahlen, aber das ist miserabel wenig.

Sie bedauern anscheinend, daß sich die LeserInnen mit der Wahl die Macht haben. Ist doch eine interessante Frage: Was wollen die Leute eigentlich lesen?

Lininsch: Verschiedene Menschen, verschiedene Leser, alle haben Existenzrecht. Bei uns geht es wellenweise. Viel war verboten von der Literatur der 20er, 30er Jahre, auch der Emigrationsjahre. Jetzt haben alle Intresse daren...

Wer entscheidet, welche Bücher produziert werden? Was geht?

Zigmonte: Jeder Schriftsteller hat sozusagen seine Nische. Früher legte der Staat das fest. Dieser oder jener positive Held war dran usw. — Damals war es nicht wichtig, ob die Bücher verkauft wurden.

Wovon leben Schriftsteller jetzt, wenn die staatliche Alimenitierung weg ist? Geht Schreiben nur noch neben einem Job?

Zigmonte: Ich fühle das noch nicht so, aber es wird bald kommen. Ich habe gerade einen Vertrag unterschrieben, und man sagte mir: 'Wir haben kein Geld, wir bezah

len so viel wie früher' — aber das ist zehmal weniger im Wert! Aber man kann nicht so merkantil da herangehen. Der Schriftsteller war ja nicht unabhängig! Jetzt ist er unabhängig, jetzt gibt es neue Probleme.

Auch neue Chancen?

Zigmonte: Das werden wir noch sehen.

Veröffentlichen lettische AutorInnen weniger auf russisch?

Lininsch: Früher wurden viele russische Autoren in lettischer Übersetzung herausgegeben. Jetzt gibt es eine Gegenreaktion, wo wir das nicht mehr lesen wollen. Das ist nicht gut. Es gibt bei allen Völkern gute und schlechte Literatur.

Michelers: Die lettischen Autoren hatten früher erhebliche Verdienstmöglichkeiten, weil sie übersetzt wurden für hohe Auflagen auf dem russischen Markt. Vielleicht sagen die Russen ja jetzt auch: Ich will von den Letten nichts mehr lesen!

Zigmonte: Die Russen, die lesen, denken nicht so. Das ist der Pöbel, der das sagt. Die Russen waren ebenso unterdrückt unter dem Kommunismus wie wir.

Gibt es Papiermangel?

Lininsch: Ja! Mangel an Papier, an Druckmöglichkeit, Farbe... Man muß für ein Buch einen Organisator haben, der aus verschiedenen Ländern alles zusammenfindet.

Zigmonte: Die Letten lesen gern, sie lieben ihre Schriftsteller — und wir müssen jetzt daran denken und auch unsere Leser lieben... und nicht laut klagen, wenn es uns schlecht geht.

Gibt es Bekenntnis- oder Vergangenheits-Bewältigungsliteratur?

Lininsch: Viele Dokumente, Briefe, Tagebücher, Erinnerungen. Eigentlich sind sie alle mit der Deportation verbunden. Sie zeigen diese unvorstellbaren, grausamen Situationen. Das ist vielleicht weniger literarisch, aber sehr sehr wertvoll, nicht nur als Dokument der Geschichte, sondern menschlich.

Vielleicht gibt es mehr Lesebedarf an Informationen, Zeitungen...

Zigmonte: Man kann über Barrikaden schreiben, aber ich habe immer Angst, Aktualität auszubeuten. Jagd nach Sensation ist nie Literatur.

Lininsch: Man kam durch die politischen Ereignisse weg von den Büchern. Da kam Fernsehen, direkte Information, Zeitungen. Da fiel Freizeit für Bücher weg.

Gibt es eine Szene von AutorInnen, die früher angepaßt waren, und von denen man jetzt nichts mehr wissen will?

Zigmonte: (lacht) Gott war gnädig! Einige sind ihres Todes gestorben... Der Schriftstellerverband hat uns früher den Rücken gestärkt, uns auch beschützt, wenn das ZK sich erregte...

Fragen: Susanne Paas

Heute, 20 Uhr, Ambiente