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Aussiedler wollen Asylbewerber vor Skins beschützen

■ Deutschstämmige aus dem Osten wollen lieber Afrikaner und Asiaten bei sich aufnehmen, als ihr DRK-Heim in der Pfalzburger Straße zu verlassen

Wilmersdorf. Während überall im Lande sich Anwohnerkomitees und aufgebrachte Eltern — mit dem Tenor: im Prinzip ja, aber nicht ausgerechnet bei uns — sich gegen die Einrichtung von Asylbewerberheimen wehren, kämpfen in der Pfalzburger Straße genau 114 Hausbewohner um die Zuweisung von Flüchtlingen aus aller Welt in ihr Haus. »Ob ein Schwarzer, Gelber oder Blauer«, sagt Regina Amboß, »wir nehmen sie mit offenen Armen auf.« Die offenen Arme sind freilich nicht das Ergebnis multikultureller Experimentierfreude, sondern ein aus der Not geborener Vorschlag, um das eigene Wohnrecht zu sichern.

Die Ausgangslage ist wie folgt. Seit 1988 betreibt das Deutsche Rote Kreuz ein Aus- und Übersiedlerheim in der Pfalzburger Straße. Derzeit wohnen in diesem schönen und parkumsäumten Gründerzeithaus 114 Menschen. Neun sind Übersiedler aus der DDR, sieben sind vietnamesche Kontingentsflüchtlinge. Der große Rest sind deutschstämmige Aussiedler aus Polen. Für alle Bewohner des Hauses ist das Heim der vorläufige Endpunkt einer zum Teil jahrelangen Odyssee durch diverse Container- und Sammellager. Man hat sich eingerichtet, hat Freunde im Haus und in der Nachbarschaft gefunden. Die Kleinsten genießen den Kindergarten im Haus, die Grundschüler gehen in die wenige hundert Meter entfernt liegende Hanns- Fechner Schule, die Großen besuchen das nahegelegene Gymnasium. Schulpsychologen bescheinigen, daß sich die Kinder gut integriert haben. Das Aussiedlerheim, eigentlich Übergangsprovisorium bis zum Bezug einer eigenen Wohnung, ist unvermutet zu einem Stück Heimat geworden, etwas worum es sich zu streiten lohnt, zumal keiner der Bewohner Chancen auf dem Wohnungsmarkt hat.

In diesen zum Ruhepunkt gewordene Provisorium brach das Landesamt für Soziale Aufgaben (LASoz) ein. Am vergangenen Freitag erhielten die Bewohner ein Formschreiben, daß sie sich zwecks Zuweisung eines neuen Wohnheimplatzes im Durchgangsheim für Aussiedler in Marienfelde zu melden haben. Das Haus solle bis Ende des Monats geräumt werden, das LASoz brauche dringend Plätze, um Asylbewerber unterzubringen. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Noch am gleichen Tag marschierte eine Hausdelegation, darunter fast alle Jugendlichen, in das Büro, nahe am Fehrbelliner Platz. Man lasse sich nicht vertreiben, wolle nicht dezentralisiert auf die ganze Stadt verteilt werden, schon gar nicht die Kinder aus der lieb und vertraut gewordenen Umgebung herausreißen, sagten sie unisono. Die Asylbewerber würden ihnen leid tun, aber sie seien zuerst dagewesen. Unterstützt wurde ihr Widerstand vom DRK, das bisher vergeblich dem LASoz Ausweichmöglichkeiten angeboten hat.

Die Beamten hatten durchaus Verständnis für die Lage und schlugen vor, daß jede Seite Kompromißvorschläge erarbeiten solle, die dann auf einer Hausversammlung mit LASoz-Vertretern besprochen würden. Die Hausversammlung hat nun am vergangenen Montag stattgefunden. 114 Aus- und Übersiedler, einschließlich der Vietnamesen, dazu noch einige neugewonnene Berliner Freunde aus der Nachbarschaft drängten sich im Heimkindergarten, um Herrn Kussin, »Gruppenleiter für die begleitende Heimverwaltung« zu hören. Er warb um Verständnis für die Nöte der Senatsinnenverwaltung. In Berlin, sagte er, fehlen dringend Wohnheime für 1.800 Asylbewerber, während es umgekehrt freie Unterbringungskapazitäten in Aus- und Übersiedlerheimen gäbe. Alleine in diesem DRK-Haus seien 148 Plätze vorhanden, die, weil der Aus- und Übersiedlerstrom verebbt sei, nicht vollständig vergeben werden konnten. Andere Übersiedlerheime, vor allem die in Spandau wären noch unterbelegter. Die nicht ausgelasteten Kapazitäten kosteten den Steuerzahler monatlich Millionen. »Umverteilung«, sei daher das Gebot der Stunde, auch wenn dies eine Härte für jeden einzelnen bedeute. »Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei«, betonte er und bot als Kompromiß eine gruppenweise Verlegung an. »Sie haben Rechtsanspruch auf eine Unterbringung, aber nicht auf ein bestimmtes Heim«, ergänzte er.

Mit diesem »Kompromiß« waren die Heimbewohner, die das ganze Wochenende lang getagt hatten, gar nicht einverstanden. »Dieses Haus ist für uns ein Ruhepol«, sagten viele, »wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft«, ergänzte Regine Amboß, DDR-Übersiedlerin und ihrer Eloquenz wegen, zur Heimsprecherin avanciert. Und sie bot einen Kompromiß an, der den »Namen zu Recht tragen würde«. Das Heim solle bis zum Schuljahresende im Juli 1992 als Aus- und Übersiedlerheim weitergeführt werden. Die 34 überzähligen Wohnheimplätze könnten an Asylbewerber vergeben werden. Sollten Heimbewohner entgegen aller Erwartungen eine eigene Wohnung finden, könnten ihre Zimmer ebenfalls von Asylbewerbern benutzt werden. »Wir haben keine Angst vor Fremden«, betonte sie. »Wir sind wie eine Familie und können diese Menschen bei uns integrieren«, ergänzte ein Aussiedler. Die Angst umzuziehen und die Dynamik des Gesprächsverlaufes bewirkte eine Offenheit, von der Ausländerbeauftragte aller Komunen nur träumen können. »Wir sind so viele«, sagte ein anderer, »daß wir, wenn die Skins die Asylanten überfallen wollen, sie beschützen können — ihre Eigenheiten werden bei uns respektiert.« Und die Jugendlichen versprachen den Neuankommenden gar, Deutsch beizubiegen.

Herr Kussin, erst skeptisch, denn ähnliche Versuche seien in Berlin bisher an diversen »kulturellen Mißverständnissen« gescheitert, ließ sich von dem Eifer anstecken. Er steckte seine Anfangsbefürchtungen, nämlich die Asylbewerberfreundlichkeit sei eventuell nur »Taktik« zurück und versprach, sich für ein integriertes Wohnmodell »bei den politisch Verantwortlichen einzusetzen«. »Es wäre einen Versuch wert«, sagte er. Und so kommt es, daß es für viele ehemalige Bürger der DDR und Polen im Moment nichts Schöneres geben könnte, als zusammenzuwohnen mit Mosambikanern, Ghanaen, Äthiopiern und Tamilen — Tür an Tür. Anita Kugler

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