Die Krönung aus der Vor-Platten-Zeit

■ Der Strausberger Platz in Friedrichshain mit seinen beiden markanten Hochhäusern »Haus des Kindes« und »Haus Berlin« wurde zum architektonischen Abschluß der Stalinallee/ Ein Ensemble gleich einem Denkmal aus Stein und Bronze

Friedrichshain. Da, wo heute der Springbrunnen des Kunstschmieds Fritz Kühn sprudelt, erstreckte sich mitten im märkischen Wald eine Lichtung. Genau dort befand sich ein Galgen: die Hinrichtungsstätte des märkischen Provinznestes Berlin. Der wohl prominenteste Delinquent, der hier gehängt wurde, war der Rebell in eigener Sache, Hans Kohlhase. Der preußische Dichter Heinrich von Kleist setzte dem Manne mit seinem Stück Michael Kohlhaas ein literarisches Denkmal.

Ein Denkmal ganz aus Stein und Bronze hingegen ziert den Strausberger Platz erst seit ein paar Jahren. Das erinnert an einen ganz anderen »Rächer der Enterbten«, an den »Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus«, Karl Marx. Der Platz liegt nämlich genau am Schnittpunkt zwischen »alter« und »neuer« Karl-Marx-Allee. Hier war der architektonische Endpunkt der im stalinistischen Zuckerbaustil errichteten Stalinallee; was dahinter liegt, ist nur noch realsozialistische Platte. Als Mitte des vergangenen Jahrhunderts Berlin in den Strudel frühkapitalistischer Industrialisierung gezogen wurde, kamen mit den Fabriken auch massenweise ProletarierInnen in die Stadt. Jene wiederum bedurften, wenn sie nach sechzehnstündiger Fron ihr Haupt darniederlegen wollten, einer Unterkunft, und so schossen schon bald Mietskasernen wie Pilze aus dem Boden. Die, die hier an der damaligen Frankfurter Allee entstanden, waren mit die grauenvollsten in Berlin: zehn und mehr Hinterhöfe, in denen sich so gut wie nie ein Sonnenstrahl verirrte; die Wohnungen waren feucht und überbelegt, die Tuberkulose war so gegenwärtig wie andernorts der Schnupfen. Hier, in NO 18, fand Heinrich Zille sein »Milljöh«. Mit dem Ende des Krieges fiel auch die Frankfurter Allee mitsamt dem Strausberger Platz den Bomben zum Opfer. Die von der sowjetischen Besatzungsmacht an die Regierung gebrachten Kommunisten wollten nun gerade hier symbolisch mit dem Wiederaufbau beginnen. Statt krankmachender Mietskasernen sollten lichte, komfortable Wohnhäuser entstehen. Und wie es sich damals für ein derartiges Projekt gehörte, wurde es dem »Vater der Werktätigen der Welt« gewidmet und hieß forthin »Stalinallee«. Krönung und architektonischer Abschluß des Ganzen wurde der Strausberger Platz mit den beiden Hochhäusern »Haus des Kindes« und »Haus Berlin«. Trotz dieser ihm zuteil gewordenen Ehre durfte der Platz seinen Namen behalten. Diese weise Entscheidung von einst hilft nun, dem gebeutelten Bezirkssäckel die Rückbennungskosten zu sparen.

Die beiden Hochhäuser sind eigentlich ganz normale Wohnbauten — ihre Namen erhielten sie durch die in ihnen untergebrachten Geschäftsetagen. Das »Haus des Kindes« verfügte einst neben drei »Verkaufsebenen« sowie einem »Kindercafé« im obersten Stockwerk noch über ein richtiges Puppentheater im Keller des Gebäudes. Doch das war lediglich bei den kleinen Besuchern des Hauses beliebt; die Geschäftsleitung des zur staatlichen Handelsorganisation HO gehörenden Kaufhauses empfand schon damals derlei Kellerkultur eher als etwas Störendes. So wurde das eine ums andere Mal ein Wasserrohrbruch in den Kellerräumen einfach übersehen, bis dann schließlich die Baupolizei das Theater dichtmachen konnte. Nach dieser weisen Entscheidung — Mitte der sechziger Jahre — begann die HO zu klotzen: um vollwertigen Lagerraum im ehemaligen Kulturkeller schaffen zu können, wurden preisgekrönte Kunstschmiedearbeiten herausgerissen und auf den Müll befördert.

Wenn auch die Neonschrift »Haus des Kindes« abmontiert und längst von einem attraktiven Pappschild mit der Aufschrift KAUFCENTER über dem Eingang des Hauses ersetzt worden ist, so ist die ehemalige Funktion des Kinderkaufhauses immerhin erhalten geblieben — ganz im Gegensatz zu seinem Pendant, dem »Haus Berlin«. Jenes war nämlich von Beginn an das, was man in der DDR unter einem »Gaststättenkomplex« verstand. Im Erdgeschoß konnte man genüßlich sein Bier zu Broiler mit Pommes schlürfen, während die 1. Etage ein mehr oder weniger mondänes »Speisenrestaurant« beheimatete. In der 13. und somit höchsten Etage war sogar eine richtige realsozialistische Nachtbar zu entdecken. Einlaßbedingung: Neben Krawatte, Jackett und geputzten Schuhen war unbedingt ein größerer Geldschein vonnöten — möglichst in der »richtigen« Währung. Hatte man das Etablissement mittels eines altersschwachen Aufzugs glücklich erreicht, konnte man beim Tschingderassabum einer polnischen Tanzkapelle und dem Sprudeln eines Miniaturspringbrunnens dort bis früh um viere sein verkrampftes Tanzbein schwingen.

Doch schon ab Mitte der achtziger Jahre mußten die »gastronomischen Einrichtungen« des Hauses nacheinander schließen. Neben einer nicht mehr in den Griff zu bekommenden Schabenplage war vor allem die Baufälligkeit des Küchenkomplexes die Ursache dafür. Nach einigem Hin und Her beschloß man, an der Rückseite des Hauses eine neue und viel größere Küche anzubauen. Daß sich ein solches Vorhaben im realen Sozialismus durchaus mehrere Jahre hinziehen konnte, ist bekannt.

Mit der Wende war der Bau dann fast vollendet, so daß die neuen Herren der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain sich sofort und frohen Mutes daran machen konnten, den Anbau wieder abzureißen. Waren die aus dem fernen Kreuzberg eingeflogenen Wohnungswirtschafter doch dahintergekommen, daß sich mit der Vermietung von Büroräumen vielmehr Knete machen läßt als beispielsweise mit dem Verkauf von Brathähnchen und Bier.

Da der Strausberger Platz noch aus der Vor-Platten-Zeit stammt, befinden sich in der Erdgeschoßzone der Häuser tatsächlich noch Geschäfte. Seit ewigen Zeiten gibt es dort schon den Friseur genauso wie das Sockengeschäft direkt daneben. Selbst in den Räumen der einstmals von der Stasi geschlossenen »Galerie Arkade« ist wieder hehre Kunst zu sehen.

Nur der Laden, in dem es früher einmal Uniformteile der NVA zu kaufen gab, ist nirgends mehr zu entdecken. Früher gab es dort Mützen, Mäntel und Krawatten in freundlichem Graugrün ebenso zu kaufen wie Kokarden und diverse militärische Ehrenzeichen. Doch spätestens seitdem der Bedarf für derartige Artikel durch die fliegenden Händler am Brandenburger Tor gedeckt wird, schien sich das Geschäft nicht mehr so recht gelohnt zu haben. O. Kakerbeck