Es kann der Beste nicht in Frieden leben...

Eine „Marocchina“ auf der Suche nach Formen des integrativen Zusammenlebens in Italien/ Ablehnung der Behörden  ■ Von Bani Trik' Afir

Der italienische Justizminister Claudio Martelli hat in Deutschland allerhöchste Entschuldigungen bekommen, weil zwei seiner Landsleute von Rassisten angefallen worden sind. Das ist gut so.

Allerdings sind in den letzten Jahren und Monaten in Deutschland auch Hunderte von Arabern, Asiaten, Afrikanern verprügelt worden: Von offiziellen Entschuldigungen haben wir nichts gehört. In Italien selbst gibt es täglich Überfälle auf Einwanderer. Probehalber habe ich nach dem letzten Überfall auf einen Landsmann im italienischen Außenministerium angerufen und nach einer Entschuldigung gefragt. Ich wurde freundlich um Namen und Adresse gebeten. Am Abend standen dann Carabinieri vor mir und haben stundenlang meine Dokumente auf Gültigkeit überprüft.

Freundliche Aufnahme an neuen Ufern

Als ich vor sieben Jahren zum ersten Mal nach Italien kam, heimlich und im Bauch eines Fischkutters, hatte mir mein Mann erzählt, daß es hier zwar durchaus Ausländerfeindlichkeit gebe, aber auch sehr viel freundliche Aufnahme. Viele „Marocchini“ wie wir seien seit langem integriert, Lebensgemeinschaften zwischen Arabern und Italienern seien üblich. Er kommt jedes Jahr für sieben Monate als Strandverkäufer an die Küste des tyrrhenischen Meeres südlich von Rom, und wo er damals lebte, stimmte das wirklich. Liebe Menschen haben ihm eine Adresse verschafft, ein Unternehmer hat ihn zwecks Arbeitserlaubnis pro forma angestellt. Auch ich selbst bin gut aufgenommen worden, es lebten damals an die dreißig Männer und etwa halb so viele Frauen in der Nähe von Divino Amore auf einem verlassenen Hof, den wir zusammen mit einigen Italienern instandgesetzten hatten: ehemalige Drogenabhängige, zwei Priester, sechs freiwillige Helfer der Caritas, die aber nur tagsüber kamen und uns bei den häufigen Polizei-Razzien schützten. Die Nachbarn brachten uns oft Gemüse, wir paßten auf ihre Kinder auf oder halfen im Haushalt. Zu Festen luden wir uns gegenseitig ein.

Für mich und die anderen Frauen ergab sich jedoch ein großes Problem. Wir alle waren sozusagen im Gefolge unserer Männer hierhergekommen. Zu Hause, in Marokko, Tunesien, Algerien hatten wir unsere angestammte Rolle im Haushalt oder auch eine gewisse Emanzipation, wie ich, die studiert hatte. Hier nun konnten wir nicht wirklich arbeiten, es sei denn, man ließ sich auf den Straßenstrich oder zur Feldarbeit pressen. So bedrängten wir unsere Männer, nach Rom zu ziehen. Da aber auch die billigsten Hotels für uns bald zu teuer waren, suchten wir Anfang 1990 Zuflucht in einer Ausländergemeinschaft in einer verlassenen Großmolkerei, Pantanella. Dort organisierten wir uns, wiederum unterstützten uns Freiwillige, auch mit den Nachbarn kamen wir gut aus, solange wir nur wenige waren. Eine regelrechte Lebensgemeinschaft hätte da entstehen können; daß wir kein Wasser und keinen Strom hatten, war nicht schlimm.

Doch dann kamen plötzlich täglich mehr als fünfzig neue Immigranten zu uns; die Lage wurde unerträglich. Wir erfuhren, daß die Behörden die Leute regelrecht zu uns hereinschoben, gleichzeitig aber öffentlich erklärten, das Gebäude werde bald zwangsgeräumt. Im Januar 1991 wurden wir hinausgeworfen. Wer keine gültigen Papiere hatte, wurde ausgewiesen. Mehr als zwei Drittel der inzwischen fast 1.500 Pantanella-Bewohner wurden abgeschoben.

Mein Mann und ich versuchten an der Adria Fuß zu fassen. In Rimini zum Beispiel gibt es einige recht gut organisierte Gruppen von Immigranten, die sich teilweise um die Tausenden dort arbeitenden weiblichen und männlichen Prostituierten sammeln. Doch dann ging dort eine schlimme Prügel- und sogar Mordwelle gegen Ausländer los, die die gesamte Region Emilia Romagna erfaßte.

Die Integration steht nur auf dem Papier

Da ich recht gut bürokratisch beschlagen bin, beauftragten mich Landsleute, für sie auf dem Rechtsweg tätig zu werden. Das berühmte „Martelli-Gesetz“, benannt nach jenem Justizminister, der da eben in Deutschland die Entschuldigungen eingeheimst hat, sieht einerseits sehr harte Abschiebemechanismen vor; die Albaner können ein Lied davon singen. Andererseits verspricht es aber, daß Immigranten mit gültigen Papieren die Integration sehr erleichtert werden soll. Wir fragten also nun nach, wo man hingehen könne, um integriert zu werden. Die Antwort war, daß wir zuerst wochenlang die Gültigkeit unserer Dokumente beweisen mußten — um dann zu hören, daß es derlei Einrichtungen noch gar nicht gebe. Auch die im Gesetz vorgesehene Zuweisung von zehn Prozent aller Neubauwohnungen ist nirgendwo realisiert worden.

Unsere Nachfrage hatte aber eine andere Konsequenz: Mehr als die Hälfte von uns Fragern wurde von den Behörden in Ausländerlager eingewiesen, auch wenn wir, wie mein Mann und ich, einen Wohnsitz hatten. In dem Lager waren Menschen aus den verschiedensten Ländern, und nach einiger Zeit erkannten wir, daß man hier vor allem solche Personen zusammensteckte, deren Länder oder Ethnien in Krieg miteinander stehen. Natürlich gab es tagtäglich Streit und Schlägereien — Grund dafür, alle paar Tage ein Dutzend Personen wegen Gesetzesverstößen auszuweisen.

Mit Hilfe italienischer Freunde bewegten wir die Streithähne zum Frieden und organisierten eine gute Nachbarschaft mit allen — da wurde das Lager innerhalb von wenigen Tagen aufgelöst. Der italienische Justizminister hat nun bei seinem Besuch in Bonn eine „feierliche Erklärung der Menschenrechte von Fremden“ im Rahmen der EG angeregt. Die Initiative könnte Hoffnung geben. Allerdings fragen wir uns, ob Menschenrechte von Fremden wirklich andere sind als die von Einheimischen, und ob man diese Rechte nur wieder so schön verkündet und dann nichts für ihre Realisierung tut.

Bani Trik' Afir, Lehrerin, lebt in Bir-Tamtam südöstlich von Fez in Marokko und im Sommer in San Felice Circeo südlich von Rom.