EG: Wie üblich chaotisch und widersprüchlich

In Immigrantenfragen herrscht mittlerweile zwar große Hektik, aber wenig konzeptionelle Sicherheit/ Trennung von Einwanderungsregeln und Asylverfahren angestrebt/ Brüsseler Einigung als Hebel für Änderung des Grundgesetzes?  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Über acht Millionen Nicht-EG-Bürger leben bereits in der „Festung Europa“. Täglich werden es mehr, trotz Anwerbestopps, verschärfter Einwanderungspolitik und rigider Asylpraxis. Dem wollen die EG-Mitglieder nun mit einer „Doppelstrategie“ gegensteuern. Neben der Vereinheitlichung der Visa- und Asylpolitik noch vor Beseitigung der Binnengrenzen 1993 soll durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den Herkunftsländern das Interesse an Übersiedlung verringert werden.

Auf Initiative Bundeskanzler Kohls hatten die zwölf Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Luxemburg im letzten Juni die Asyl- und Einwandererpolitik zur EG-Sache erklärt. Letzte Woche stellte der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Martin Bangemann nun erstmals ein Konzept vor. Seine Mitarbeiter rechnen damit, daß es im Jahre 2000 in den südlichen Mittelmeerländern für 100 Millionen Menschen keine Existenzgrundlage mehr geben wird. Auf 20 Millionen schätzt der UNO-Hochkommissar die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Verfolgung und wirtschaftlichem Elend fliehen. Viele davon werden in Westeuropa ihr Heil suchen. Als administrativen Schutz schlägt Bangemann daher vor, „durch eine legale Einwanderungspolitik mit Quotenregelung das Asylverfahren wirksam von mißbräuchlicher Inanspruchnahme durch Wirtschaftsflüchtlinge zu entlasten“. Verkürzte Verfahren bei offensichtlich unbegründeten Anträgen und eine tatsächliche Abschiebung abgewiesener Asylbewerber sollen dabei helfen. Außerdem propagiert er eine Liste von „Nichtverfolger-Staaten“, bei deren Staatsangehörigen im Normalfall von vorneherein die Unbegründetheit eines Asylantrags unterstellt werden könne.

Eine EG-Einigung in diesen Fragen stößt jedoch auf Schwierigkeiten. So müßte dafür auch das deutsche Grundgesetz geändert werden. Denn die Bundesrepublik räumt Asylbewerbern im EG-Vergleich die weitreichendsten Rechte einschließlich sozialer Fürsorge ein. Deswegen würden, so Bangemann, fast zwei Drittel aller Asylanträge im EG-Raum in Deutschland gestellt. Im Unterschied zu anderen Staaten sei noch nicht einmal eine Zurückweisung an der Grenze möglich.

Im Europaparlament selbst scheint die von Bangemann vorgetragene Regelung mehrheitsfähig, vermutet der sozialdemokratische Abgeordnete Detlev Samland, „solange persönliche Anhörung und Rechtsschutz des um Asyl Bittenden vor Abschiebung gewährleistet sind“. Eine Trennung von Einwanderungsregelung und Asylverfahren wäre besonders für die Bundesrepublik bedeutsam, wo es eine solche Unterscheidung bislang nicht gibt. „Die Einwanderungsquote“, so der Abgeordnete, „ist natürlich politischer Opportunität unterstellt. Aber dies ist ja heute schon so.“

Daß das Argument hinkt, zeigt allerdings die Situation in der Bundesrepublik. Letztes Jahr wurden von 116.000 abgelehnten AsylbewerberInnen lediglich 3.060 wirklich abgeschoben: Wer sich um Asyl bewirbt, hat offenbar bessere Chancen, in sein Traumland zu gelangen, als wer zuwandert — da hängt sein Schicksal von einem ausgefeilten Quotensystem ab. Wer einmal den Sprung in die Festung geschafft hat und legal in der EG lebt, soll nach dem Willen der Asyl-Reformer besser integriert werden. Die völlige Freizügigkeit im Binnenmarkt ist jedoch auch für sie nicht vorgesehen: Sie können zwar für drei Monate visafrei in EG-Europa herumreisen, wollen sie sich aber in einem anderen als ihrem Gastland niederlassen, müssen sie ein neues Aufnahmeverfahren über sich ergehen lassen. Dies würde zu einer anderen absurden Situation führen: Ein Türke, der seit 25 Jahren in Deutschland ansässig ist, müßte in Belgien erneut ein Aufnahmeverfahren durchlaufen und würde dort womöglich abgewiesen, während ein Ukrainer, der die deutsche Volkszugehörigkeit nachweist, die Freizügigkeit in allen Mitgliedsstaaten genießen kann.