USA bestehen auf Stationierung neuer Atomwaffen

Im Vorfeld der Nato-Tagung der Nuklearen Planungsgruppe widersprechen sich Bonn und Washington hinsichtlich neuer Atomwaffen für Westeuropa/ Kompromißformel soll Dissens überdecken  ■ Von Andreas Zumach

Im Vorfeld der morgen auf Sizilien beginnenden Herbsttagung der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) der Nato haben Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und der neue Generalinspekteur der Bundeswehr Naumann die „unerläßliche“ Stationierung flugzeuggestützter Atomwaffen in Westeuropa auch nach den politischen Veränderungen in Osteuropa betont. Als Begründung nannten sie mögliche „Bedrohungen“ von außerhalb Europas und damit des bisherigen Nato-Gebietes.

Zugleich verbreiten die Regierungen in Bonn und Washington gegensätzliche Informationen und Einschätzungen über Stand und Vorgeschichte der Nato-Planungen für neue flugzeuggestützte Abstandsraketen (TASM) in Westeuropa und im Zusammenhang damit des Zwecks für den Bau unterirdischer Bunkerkammern in der Bundesrepublik.

Thema des zweitägigen Treffens der 15 Verteidigungsminister (Frankreich nimmt nicht teil) ist neben den Atomwaffen auch die künftige Streitkräftestruktur des westlichen Militärbündnisses. Endgültige Entscheidungen hierzu sollen nach Angaben Stoltenbergs allerdings erst nach dem Nato-Gipfel in Rom auf einer weiteren NPG-Tagung im Dezember fallen.

In einer Erklärung Stoltenbergs heißt es, die Vorschläge des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow zur „völligen Beseitigung“ luftgestützter Atomwaffen entspreche „nicht den Sicherheitsinteressen Europas“. Ein „Mindestbestand“ an derartigen Waffen sei „unerläßlich besonders angesichts einer verstärkten Proliferation“ von ballistischen Raketen sowie von atomaren, chemischen und biologischen Kampfmitteln in Ländern, „die zum Teil in Nachbarschaft Europas liegen“. Dazu gehören nach Erkenntnissen der international führenden Rüstungsforschungsinstitute wie westlicher Geheimdienste rund 15 Staaten — darunter neben dem Irak auch Israel, Ägypten, Syrien, Libyen oder Nordkorea.

Bei der NPG-Tagung, spätestens jedoch beim Gipfel in Rom will die Nato die Reduzierung der bisher rund 1.400 Atombomben in Westeuropa um die Hälfte oder zwei Drittel ankündigen. Die seit 1983 existierenden Pläne zu Entwicklung und Einführung neuer, sehr viel flexibler einsetzbarer atomarer Abstandswaffen, die auf den halbjährlichen NPG- Tagungen seit 1983 mit Zustimmung des Bundesverteidigungsministeriums regelmäßig fortgeschrieben wurden, existieren nach Darstellung der Bundesregierung nicht mehr, seitdem die Bush-Administration im September die Entwicklung der als Abstandswaffe vorgesehenen SRAM-Rakete gestoppt habe.

Dieser Interpretation wird von der Regierung in Washington jedoch ausdrücklich widersprochen. Bei einem Pressegespräch im Vorfeld der NPG-Tagung bestätigten hohe Pentagon-Vertreter am Wochenende, daß zur Ausfüllung der TASM-Rolle auch andere, derzeit laufende Waffenentwicklungsprogramme in Frage kommen.

Wenn Bonn und andere Bündnispartner auf die weitere Existenz US- amerikanischer Atomwaffen in Westeuropa Wert legten, müßten sie auch die „Modernisierung“ der „alten“ Atombomben in Westeuropa durch neue Abstandsraketen akzeptieren. Die atomaren Waffen der Nato müßten „jederzeit auf dem neuesten Stand gehalten werden“. Mit dieser Formulierung im Abschlußkommuniqué der NPG-Tagung — so der Pentagon-Vertreter — soll der bündnisinterne Konflikt vorerst überdeckt werden. Nach Washingtons Interpretation dieses Satzes gefragt, erklärte der Pentagon- Vertreter: „Die TASM kommt nach Westeuropa.“

Im Pentagon wird auch bestätigt, daß die seit 1987 geplanten und seit 1989 in der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Staaten im Bau befindlichen unterirdischen Bunkerkammern nicht nur auf die bereits hier lagernden 1.400 Atombomben, sondern auf die künftig zu stationierenden TASM ausgelegt sind. (siehe gestrige taz).