FLN gibt sich neues Wahlgesetz

Algerisches Parlament blockierte selbst geringfügige Änderungen/ Die alte Einheitspartei will Machterhalt um jeden Preis/ Nach dem Ausnahmezustand droht nun eine neue innenpolitische Krise  ■ Von Oliver Fahrni

Algier (taz) — Der algerische Krisenpremier Sid Ahmed Ghozali scheute weder Mühen noch Heuchelei. Beschimpft und ausgebuht, ergriff er vor dem Parlament (APN) das Wort und karessierte seinen Gegnern das Fell. Hier, „in der freundschaftlichen Atmosphäre der ehrenwerten Versammlung“, so Ghozali, werde man „gemeinsam und getragen von hohem Verantwortungsbewußtsein die Rettung der Nation beschließen“. Nichts da. Die werten Deputierten, durch die Bank Mitglieder der alten Einheitspartei FLN, der auch Ghozali entstammt, beschlossen hohnlachend ein Wahlgesetz, das Algerien in eine neue Krise stürzt und den stotternden Demokratisierungsprozeß gefährdet.

Die Wahlnovelle gleicht, von geringfügigen Änderungen abgesehen, dem Wahlgesetz vom April, das sich die alte Nomenklatura auf den Leib geschneidert hatte. Es sollte der FLN den Machterhalt sichern und einen Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS), der stärksten politischen Kraft im Lande, verhindern. Die Wahlkreiseinteilung gab den kleinen demokratischen Parteien keine Chance; die FIS-freundlichen Städte waren stark unterrepräsentiert. Keine der reichlich 40 Oppositionsparteien mochte dem Wahlgesetz zustimmen — doch allein die FIS mobilisierte im Mai die Straße und löste damit die Unruhen aus, die zum Ausnahmezustand führten.

Ghozali versprach Neuwahlen noch in diesem Jahr und ein neues Wahlgesetz. Doch seine geringfügigen Abänderungsvorschläge (Verringerung der Zahl der Wahlkreise, keine Delegation des Stimmrechts mehr, Herabsetzung des passiven Wahlrechts) wurden Sonntag nacht von der APN blockiert. Die FNL- Abgeordneten, unterstützt von einer neuen, konservativen Parteileitung, verweigern den demokratischen Wechsel. Die Opposition schaute machtlos zu. Ait Ahmeds Sozialdemokraten (FFS) veranstalteten Sonntag ein zweistündiges Sit-in vor der APN, „dieser illegitimen und rückständigen Organisation“, um gegen „die Blockierung des Demokratisierungsprozesses“ zu protestieren. Frauenorganisationen monierten das „mittelalterliche“ Stimmrecht, das dem Mann erlaubt, unter Vorweisung des Familienbüchleins für die Frau abzustimmen. Mouloud Brahimi von der algerischen Menschenrechtsliga kann sich „nicht vorstellen, daß irgend jemand unter diesem Gesetz zur Wahl geht“, sieht das „Land in akuter Gefahr und Agonie“ und rief Präsident Chadli Bendjedid zum Eingreifen auf. Doch der schweigt seit Wochen. Manche Algerier meinen, er werde sich in letzter Minute auf die Seite der stärkeren Fraktion schlagen, andere spekulieren gar, er sei von der Armee längst entmachtet. Der Ausgang der verfahrenen Lage ist vorerst offen.