„Denen werden wir mal heimleuchten!“

Im Leipziger Stadtteil Connewitz terrorisieren rechte Gangs die linksalternative Szene/ Bilanz von drei Überfällen: Mehrere Schwerverletzte, zerstörte Wohnungen, ein ausgebranntes Café/ Polizei und Stadtregierung sehen tatenlos zu  ■ Aus Leipzig Nana Brink

Die Angst geht um in der linksalternativen Szene Leipzigs. Systematisch und mit steigender Brutalität nehmen sogenannte „Glatzen“- Gangs nicht mehr nur die Fremden, sondern auch den „Klassenfeind“ ins Visier. Nicht zufällig marodierende Horden rechtsradikaler Kids lassen hier ihren Frust ab, sondern straff organisierte Banden inszenieren ihren privaten Krieg: Sie fahren mit neuen Autos vor, meist Kadett oder BMW, verfügen über CB-Funk und teure Waffen. „Die haben nicht mehr ordinäre Schlagringe, die haben Samuraischwerter und scharfe Munition“, berichtet ein Augenzeuge. Ihr Auftreten zeugt von strategischem Kalkül und einem logistischen Kopf im Hintergrund: Blitzschnell erscheinen die glatzköpfigen Jungs, Mollies, Schwert und Baseballschläger unter der Bomberjacke, an den bekannten Treffpunkten der linken Szene. Vor dem Ziel formieren sie sich, brechen in ein „wahnsinniges Kriegsgeheul aus“ und schlagen wahllos zu.

Beispielsweise am Tag der Deutschen Einheit: Die Polizei hatte sämtliche verfügbare Leute am Flüchtlingsheim Grünau konzentriert, da sie einen Zusammenstoß zwischen linken Demonstranten und Rassisten befürchtete. Sichtlich stolz gab Einsatzleiter Heinz Theus später zu Protokoll, daß „durch unsere Präsenz“ eine Auseinandersetzung verhindert worden sei. Die aber hatte bereits Stunden vor der Demonstration zum Ausländerheim stattgefunden. Circa fünfzig kahlköpfige Jugendliche setzten das zu nachmittäglicher Stunde geschlossene Szenecafé „Backwahn“ in Connewitz in Brand. Der Büroraum mitsamt allen Unterlagen brannte völlig nieder. Das Café wurde komplett verwüstet. Obwohl — im Polizeijargon — am damaligen Tage zu den „gefährdeten Gebieten“ zählend, findet sich zu diesem Zeitpunkt kein Polizist in Connewitz.

Doch das war erst der Auftakt. Drei Tage nach dem Brand im „Backwahn“ überfallen die Gangs eine Wohnung in einem besetzten Haus in der Leopoldstraße; vier Bewohner müssen daraufhin mit Knochenbrüchen und Platzwunden ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die „Lektion“ erscheint dem rechten Überfallkommando nicht befriedigend: Zwei Tage später rücken knapp 30 „Glatzen“ wieder im gleichen Haus an. Ein Bewohner, von Passanten gewarnt, hört noch die Parole: „Denen werden wir jetzt mal richtig heimleuchten.“ Diesmal feuern sie Leuchtmunition im Haus ab und zertrümmern die Wohnungseinrichtung. Einem Bewohner wird mehrfach der Arm gebrochen. An einem wird das berüchtigte „Bordsteinbeißen“ praktiziert: Den Kiefer am Bordstein wird der Delinquent durch Tritte in den Nacken traktiert. Der junge Mann liegt mit doppeltem Schädelbasisbruch im Krankenhaus. Die Polizei erscheint in letzterem Fall erst einen Tag später und auf Drängen einiger Sozialarbeiter am Tatort, obwohl Anwohner sie bereits kurz nach Eintreffen der Rechten verständigt haben. Im Polizeipressedienst findet sich lediglich eine zehnzeilige Notiz über die Überfälle. „Das ist der reinste Terror“, meint ein Bewohner der Leopoldstraße, „und die Bullen sehen einfach zu.“

Die Polizei sieht nicht zu, sie ist schlicht nicht vorhanden. Im Revier Süd, zuständig für Connewitz, schieben derzeit vier Polizisten Außendienst. „Das ist der Idealfall“, so Polizeirat Theus, meistens sind zwei auf Schulungsseminaren im Westen. Versäumnisse bei der Beobachtung des Gebietes oder den nachfolgenden Ermittlungen will Theus nicht sehen: „Am 3. Oktober beispielsweise haben wir flächendeckend aufgeklärt und wußten, wo die Rechten waren.“ Aus Connewitz sei nichts gemeldet worden. Im gleichen Atemzug gibt der Polizeioberrat jedoch zu: „Die sind doch besser ausgerüstet als wir. Wir wissen, daß die unseren Funk abhören.“ Die „Glatzen“ hatten so am Einheitstag freies Spiel in Connewitz: Die Polizei wußten sie in Grünau. Reagiert die Polizei nicht auf diese Taktik? „Wie soll ich denn“, — der Polizeirat, seit 1968 bei der Leipziger Polizei und als „Unbelasteter“ in die Führungsspitze aufgerückt, wird unwirsch — „soll ich mir die Streife aus den Fingern saugen? Ich hatte 400 Mann und vor dem Ausländerheim alle Hände voll zu tun.“ Trotz mehrmaliger Aufforderung an die Landespolizeidirektion in Leipzig, die die Anträge an das zuständige sächsische Innenministerium weiterleitet, seien ihm keine zusätzlichen Einheiten zugestanden worden. Theus' Weltbild gerät aus den Fugen: Da zog er aus, die Ausländer zu beschützen, und sieht sich nun Vorwürfen ausgesetzt. Unverständlich ist ihm, warum „ausgerechnet diese Hausbesetzer“ jetzt nach der Polizei schreien.

Die widersprüchliche Vorgehensweise einer überforderten Polizei ist offensichtlich. Angeblich weiß sie um die Gewalttätigkeit der rechten Szene nicht nur gegenüber Ausländern, sondern auch gegen die unliebsamen Alternativen. Ein Konflikt, der in Connewitz nicht erst seit gestern schwelt. So überprüfte man dann zwar die linken Demonstranten vor dem Ausländerheim, die Gegenseite — als wäre von ihr keine Gewalt zu erwarten — zog unerkannt von dannen. Nicht einmal die Autokennzeichen wurden notiert. Die Ordnungsmacht kapituliert: Nach dem Brandanschlag auf das Café und auch nach dem ersten Überfall auf das Haus in der Leopoldstraße überließ man das „gefährdete Gebiet“ sich selbst. Die Überfallenen mußten erst Anzeige erstatten. Die Betroffenen berichten, daß die Polizei am Tatort keine erkennungsdienstlichen Ermittlungen bei den verbliebenen Waffen oder Brandsätzen aufgenommen hätte.

Die Connewitzer Alternativen wollen währenddessen den Angriffen nicht weiter tatenlos zusehen. Einige von ihnen haben sich bereits mit Pistolen bewaffnet. „Wir machen die auch scharf, wenn's sein muß. Was hier abgeht, ist doch eine Aufforderung zur Selbstjustiz.“ Darüber hinaus wollen sich die auch untereinander zerstrittenen Linken in Connewitz zusammenraufen und ein „Frühwarnsystem“ einrichten. Ihre Wohnungen haben sie bereits verbarrikadiert. Das Café „Backwahn“ bleibt vorerst geschlossen. Die Punks aus der Leopoldstraße fühlen sich hinter ihren zugenagelten Fenstern nun doppelt als Desperados: Kurz vor den Angriffen haben sie mit Unterstützung einer Sozialarbeiterin die drohende Räumungsklage abwenden können. Trotz Modernisierungsmaßnahmen versprach ihnen die Stadt eine neue Bleibe im Viertel. Wo, ist ungewiß. Ihre geballte Perspektivlosigkeit bündeln sie nun in lautstarken Kriegserklärungen in Richtung „Fascho-Gangs“.

Die Stadt nimmt den drohenden Stadtteil-Krieg der rechten Brutalo- Kids gegen die linken Schmuddelkinder bislang nicht zur Kenntnis. Weder das Dezernat für Sicherheit, Recht und Ordnung noch das Jugendamt sahen sich zu einer Stellungnahme genötigt. Das Schweigen der Parteien, allen voran von Bündnis90/Grüne im Stadtparlament, ist ebenfalls beredt. B90/Grünen-Fraktionschef Jochen Läßig zuckt mit den Schultern: „Irgendwie waren wir alle nicht da am 3. Oktober.“ In der 'Leipziger Volkszeitung‘ erscheint endlich, nach dem dritten Überfall, ein schmaler Zweispalter: „Angst vor neuem Terror“. Die Angst vor den rechten Horden veranlaßt dann auch die neue bildungsbürgerliche Linke, den Stadtteil zu meiden. Kommentar eines Journalisten der hiesigen Stadtzeitung: „Wir gehen doch da eh nicht mehr hin.“ Die rechten Gangs lachen sich derweil, das Ohr am CB-Funk, ins Fäustchen und spielen weiter Katz und Maus. Und die Stadt sieht zu.