Kulturpolitik? „Es gibt keine klaren Antworten“

■ taz-Gespräch mit Norbert Kentrup, Schauspieler bei der Shakespeare Company und unüberhörer Aktivist bei der 'ZOKK'

taz: Herr Kentrup, die ZOKK (Zentrale Organisation für Kunst und Kultur) hat sich heftig in den Wahlkampf eingemischt. Jetzt geht es darum, wer regiert. Wer ist die Kultur-SenatorIn Ihrer Wahl?

Norbert Kentrup: Das muß klar sein: Ich spreche hier nicht als ZOKK-Vertreter, sondern nur privat als Norbert Kentrup! Also, ich kann mir natürlich 'ne Trüpel für Wissenschaft und Kunst vorstellen. Sie ist mit Kultur als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf gegangen und hat damit die Wahl gewonnen. Und: Die Grünen haben sich für eine Erhöhung des Kulturetats ausgesprochen. Ob derzeit in der SPD jemand das Ressort machen möchte, mit Lust! und nicht wie bisher mit Leiden, weiß ich nicht.

Die KultursenatorIn wird Millionen locker machen müssen...

Das ist der entscheidende Punkt. Eine Senatorin Trüpel mit demselben Etat — das würde ich ihr nicht wünschen, oder sie wird unglücklich... Von der Forderung, den Kulturetat schließlich zu verdoppeln, werden die Künstler nicht runtergehen.

Daß in Bremen DVU gewählt wird, ist Unkultur — und eine Folge davon, Menschen allein zu lassen. Da muß eine Investition passieren, vielleicht müssen Kulturschwerpunkte sich ändern.

Auch FDP und CDU sind in einer Koalition mit der SPD denkbar. Die FDP hat gesagt: Die Großen brauchen Geld, wir haben es nicht für jede kleine Initiative. In Frankfurt hat die CDU erhebliche Mittel in die Kultur gepumpt. Manche Sozialdemokraten sagen, daß in ihrer Partei Volkshochschulen und Stadtbüchereien wichtiger genommen werden als z. B. Theater. Würde es mit FDP oder der CDU schlechter werden?

Oh! Ich möchte während der Koalitionsdebatte kein Öl ins Feuer gießen! Es wird darum gehen, einen Dialog zwischen Künstlern und und Senat herzustellen.

Der noch amtierende Kultur- Staatsrat Hoffmann hat im Sommer öffentlich gesagt, in seiner Behörde sei die Abteilung Theater fehlbesetzt. Setzen Sie da Hoffnung in einen Diolog?

„Das nicht mehr geredet wurde in Bremen, das war Unkultur“

Jede neue Senatorin muß klären, mit wem sie die Arbeit machen will.

Kulturplitik steht im Moment nicht als Dringlichstes auf der Tagesordnung. Das ist doch ein Vakuum, das man kulturpolitisch nutzen kann: Claims abstecken, schöne Konzepte präsentieren und laut sagen: An uns kommt ihr nicht vorbei.

Wer nach dieser Wahl sagt 'ich weiß, wie es geht', lügt. Daß nicht mehr geredet wurde in Bremen, das war die Unkultur, und da liegt jetzt die Chance. Natürlich werde ich weiter sagen, der Kulturhaushalt muß verdoppelt werden. Aber ich beneide keinen, der diesen Job macht: Es gibt keine klaren Antworten.

Sind keine Vorstellungen von Kulturpolitik entwickelt? Was geht denn über die Verdoppelungs-Forderung hinaus? Wo ist die Vision? Wo geht es hin?

„Wenn die Kulturszene nur noch mit Überleben beschäftigt ist, ist das schlecht für Bremen.“

Braucht man mehr Geld, um die notleidende Szene zu alimentieren? Sollen neue Leute von außen geholt werden? Gibt es Pläne — oder nur Finanzbedarf?

Es kann nicht um die Alimentierung der Kunstszene gehen. Es geht um das Publikum. Beispiel Schnürschuh-Theater: Die kümmern sich am weitesten um diesen Bereich der potentiellen DVU- Thematik. Wenn die nur noch mit Überleben beschäftigt sind, ist das schlecht für die Bremer Kultur. Oder die Shakespeare-Company: Wir erwirtschaften die Hälfte des Etats außerhalb Bremens. Wir wollen aber in Bremen arbeiten und nicht auswärts. Zum Beispiel: Wir planen jetzt zwei Uraufführungen zum Thema Deutschland, Wiedervereinigung und schweigende Familie — das ist ein irres Risiko, danach sogar einen Shakespeare Titus Andronicus über das Thema Völkerwanderung — vielleicht können wir uns solch ein Experiment gar nicht leisten. Für Inhalte muß Geld da sein.

Jede SenatorIn, die mit demselben Etat rumwurschtelt, wird verzweifelt sein — und nur Druck bekommen.

In Scherfs Aktionsprogramm ist ein Koordinierungs-Büro vorgesehen. Sie wollen am 8. November einen Kulturrat gründen. Kann sich das treffen? Wenn Scherfs Büro wie die Wirtschaftsförderung organisiert wäre, selbständig, unbürokratisch...

Bis zur Gründung des Kulturrats am Kulturrat am 8.11. werden Willy Athenstädt von der Kunsthalle für den bildnerischen Bereich, Andrea Köpke von der Shakespeare Company fürs Darstellerische und Peter Schulze vom Landesmusikrat fürs Musikalische mit den Fraktionen Verhandlungen aufnehmen. — Wenn in so einem Büro Leute sitzen, die die Szene kontrollieren wollen, sind sie falsch. Der Kulturrat will aber nicht immer nur der Ankläger sein. Über das Büro muß man nachdenken. Bisher ist darüber mit niemandem aus der Kulturszene geredet worden.

Man kann ja auch ohne die SPD mal nachdenken.

Ein Büro, das helfen würde, die Töpfe von Land, Bund und Europa aufzuknacken, — warum soll ich dagegen sein, wenn die Behörde mal für mich arbeitet? Dafür werden sie ja bezahlt.

„Der Kulturrat will nicht nur Ankläger sein.“

Fordern Sie ein selbständiges Kulturressort?

Wissenschaft und Kultur gehören mit Sicherheit zusammen. Wenn wir eine menschlichere Welt bauen wollen, eine künftige Welt, in der alle leben können und die überlebensfähig ist, gehört nach meiner Ansicht auch die Forschung dazu. Wissenschaft, Kultur und Forschung gehören auf jeden Fall zusammen, sie stellen Weichen für die Zukunft. Der große schulische Bereich hat andere Gesetzmäßigkeiten, man muß diskutieren, ob er dazugehört.

Die Kulturschaffenden haben sich erstmalig in Bremen so stark organisiert. Wenn sich eine neue SenatorIn ernsthaft von ZOKK beraten ließe, müßte ZOKK auch sagen, wer kein Geld bekommt.

Wenn alles so bleibt, werd' ich doch den Teufel tun, eine Mangelverwaltung zu unterstützen. Da muß sich die ZOKK dann auch weiterqualifizieren. Sie wird eine Rolle spielen, als Opposition und als Mitarbeiter. Ich finde nach so einer Wahl: eine ungeheure Chance, daß wieder Luft entsteht! Immer wieder taucht der Punkt auf, an dem das Fressen vor der Moral kommt. Und die Moral wird hier in Bremen immer notwendiger.

Fragen: juan, S.P.