»Wir erfinden nur beim Rumwuseln«

■ Seit 13 Jahren gibt es »Wuseltronik«/ Erfinder ohne Chefs/ Die Gesellschafter sind erfolgsbeteiligt und haften mit persönlichem Vermögen/ Das Privatleben ist reduziert

Kreuzberg. Alternativbetriebe scheinen noch lange nicht am Ende zu sein — »Wuseltronik« jedenfalls nicht. Die Forschungs- und Entwicklungsfirma existiert seit 13 Jahren und gedenkt auch weiterhin, »ein Projekt ohne Chefs zu bleiben«, sagt Clemens Triebel, einer der jetzigen fünf Gesellschafter. Der 33jährige Erfinder baut in der Fabriketage im fünften Stock am Paul-Lincke-Ufer 41 gerade vier Marken-Kühlschränke zu Bakterien-Toximetern um. Sie werden später in Klärwerken und an Gewässern die Wassergüte kontrollieren.

Die High-Tech-Schränke, mit deren Hilfe im Wasser Quecksilber, Formaldehyd, Benzol, 2,4-Dichlorphenol und andere Schweinereien nachgewiesen werden können, kosten den Auftraggeber — in der Regel Kommunen — jeweils 80.000 Mark. Dennoch trägt Unternehmer Triebel weder Kittel noch Krawatte, sondern Gesundheits-Latschen, eine Black- Jeans und ein Sweat-Shirt, das vor der ersten Wäsche rosa gewesen sein muß. In der freien Wirtschaft könnte der Wuseltroniker, der sein Haar blondiert hat, jeden Monat mit 16.000 Mark brutto nach Hause gehen — in seiner Firma gibt er sich mit 1.500 Mark netto zufrieden. Das Geld, auf das er monatlich verzichtet, sei der Preis für die Arbeitsqualität und die selbstgewählten Inhalte, sagt Triebel. Wuseltronik entwickelte zum Beispiel fünf Jahre lang einen Toximeter, von dem bisher 15 Geräte verkauft sind, und projektierte für Entwicklungsländer einen Impfseren-Kühlschrank, der seinen Energiebedarf über Solarzellen deckt. Eine Steuerung für Behindertenfahrstühle gehört genauso zur Forschungspalette wie ein selbstgebauter Computer, der Windkraftanlagen regelt.

Die erste ernsthafte Krise habe Wuseltronik im vergangenen Jahr durchstehen müssen — 12 Jahre nachdem der Betrieb in einer gemieteten Küche begonnen hatte —, erzählt Triebel. Es habe keine vernünftigen Projekte gegeben, und die »ältere Garde«, die etwa 40jährigen, liebäugelten damit, aus dem Alternativbetrieb ein Profit-Center zu machen. Doch mit Hilfe einer Supervision sei deutlich geworden, daß es unvereinbar sei, nur noch ein Gerät produzieren zu wollen, gleichzeitig aber an verschiedenen Projekten zu forschen. »Wir können nicht abheben«, glaubt Clemens Triebel, die Hoffnung von einer wirtschaftlichen Expansion sei ein Traum. Denn 10 Toximeter könnten sie selbst zusammenbauen, 100 Geräte aber müßten von Laien in rationeller Arbeitsteilung zusammengesetzt werden, um richtig Geld verdienen zu können. »Neues können wir nur erfinden, wenn wir rumwuseln«, sagt er.

Der 33jährige meint, daß die gewünschten Strukturveränderungen auch noch andere Gründe hatten. Je älter man werde, desto mehr ziehe man sich ins Privatleben zurück, wolle klare Arbeitsverträge, ein besseres Gehalt und eine Altersversorgung. Und die Ansprüche der Gesellschafter an den Arbeitsplatz haben sich immer wieder verändert. Daß 1978 vier Gesellschafter die Forschungsfirma gründeten, der Laden irgendwann elf Teilhabern gehörte und jetzt nur noch fünf Eigentümern, zeigt dies deutlich. Doch ein Alternativprojekt könne keine Sicherheit bieten, nicht einmal Freundschaften seien ohne weiteres mit dem Projekt zu vereinen, sagt Triebel. Schnell heiße es: »Entweder ich oder Wuseltronik.«

Im Gegensatz zu kapitalintensiven Alternativbetrieben führt der Ausstieg eines Mitarbeiters bei den Wuseltronikern zu keiner finanziellen Krise — denn niemand wird ausbezahlt. Das einzige, was er umsonst mitnehmen kann, ist sein Know- how. Auf dem Firmenkonto wäre sowieso nichts zu holen, weil jede Mark wieder in neue Forschungsprojekte gesteckt wird.

Nach der Krise im letzten Jahr gab es dennoch strukturelle Änderungen. Erstmals wurden Aushilfen eingestellt, und überraschend stellte sich heraus, daß die StudentInnen trotz Jobber-Verhältnis eine »extrem hohe Motivation« mitbringen. Triebel schließt daraus, es sei kein Muß für Spaß an der Arbeit, daß einem der Laden selbst gehört. Auch die Studis, die besser bezahlt werden als die Eigentümer, würden es schätzen, an sinnvollen Projekten zu arbeiten, spät am Tag anzufangen und bis nachts zu ackern — wenn sie wollen. Dirk Wildt