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INTERVIEWKeine heile Welt mehr vorgaukeln

■ Kinder sollen nicht abgeschrimt werden, sondern früh lernen, mit bedrohlichen Informationen aus der Außenwelt konfrontiert zu werden und sie zu verarbeiten

Der Kinderpsychiater und Psychoanalytiker Horst Petri vertritt, daß der Generationenvertrag, der es Kindern ermöglichen sollte, sich in der Welt geborgen zu fühlen, heute ständig von den Erwachsenen aufgekündigt wird. Das Ergebnis sind Ängste und Aggressionen.

taz: Woher haben die Kinder das Wissen über die Dinge, die sie bedrohen?

Horst Petri: Wir unterschätzen einfach die Wirkung von Medien und die Phantasiefähigkeit von Kindern, wie sie diese Medienwirklichkeit in ihre eigene Realität umbauen. Neben den täglichen Meldungen z.B. über das Robbensterben oder die Vergiftung der Nordsee gibt es natürlich noch die ganze Welt der Science-fiction, die bisweilen schon eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem aufweist, was wir mittlerweile erreicht haben. Kinder verdichten so etwas, und dann wird die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität sehr schwierig.

Dann wäre aber Kinderangst nicht nur eine Frage einer bedrohlichen Realität, sondern auch eine Frage der Information und Simulation. Wird Kindern da möglicherweise zuviel zugemutet?

Das ist ein sehr konservatives Argument, das auch am häufigsten im Rahmen der ganzen Debatte benutzt wird. Es wird argumentiert, daß es sich um induzierte Ängste handelt. Das ist natürlich Quatsch, denn die Alternative hieße ja, Kinder nicht zu informieren. Dazu ist unsere Medienkultur heute einfach zu weit entwickelt.

Außerdem hat sich die gesellschaftliche Situation so geändert, daß wir heute den Kindern keine heile Welt mehr vorgaukeln können. Es ist gerade eine Herausforderung diese ganzen Entwicklung, auch Kinder in die Verantwortung mit einzubeziehen und das heißt, sie sehr früh darüber zu informieren, wie die Welt aussieht. Denn wenn es überhaupt noch eine Wende geben kann, dann wird die getragen von den Generationen, die nachwachsen. Und von daher sollte man es begrüßen, daß Kinder — natürlich in der für sie ertragbaren Form — mit solchen Informationen heranwachsen und sie langsam verarbeiten. Interview: Sonja Schock

H. Petri »Erziehungsgewalt« Fischer Verlag 2. Aufl. 1991 DM 19,80.

H. Petri »Angst und Frieden« Fischer Verlag 1987 DM 16,80

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