Stasi in den Grünen

■ betr.: "Der Stasi-Mann bei der AL", taz vom 9.10.91, " 'Moskaus Mann' bei den Grünen", "So verrückt es klingen mag, ich habe immer für offene Politikformen plädiert", "Ein Überzeugungstäter", taz vom 10.10.91 u.a.

betr.: „Der Stasi-Mann bei der AL“, taz vom 9.10.91, „,Moskaus Mann‘ bei den Grünen“, „So verrückt es klingen mag, ich habe immer für offene Politikformen plädiert“ (Interview), „Ein Überzeugungstäter“ (Kommentar von Wolfgang Schenk), taz vom 10.10.91, „Stasi-Spitzel erfolglos“, taz vom 11.10.91

In schlechter, aber leider üblicher PDS-Manier, drückt sich Dirk Schneider vor seiner persönlichen Verantwortung. Zur Hauptsache, mit wem er worüber aufgrund welcher Abhängigkeitsverhältnisse gesprochen hat, schweigt er. Besonders zynisch ist, daß er zu dem begründeten Verdacht, mithilfe seiner AL-Tarnung DDR-Oppositionelle denunziert zu haben, keine Stellung nimmt und stattdessen über „offene Politikformen“ schwafelt. Als langjähriges AL-Mitglied erbost mich dies.

Zurückzuweisen wegen sachlicher Unrichtigkeit sind leider auch die Statements der DDR-Oppositionellen Bohley, Schenk und andere: Die AL hat die Zweistaatlichkeit nicht deshalb jahrelang vertreten, weil Schneider dies so eingefädelt hatte. Das ist absurd. Schneider setzte sich vielmehr in mehreren großen Debatten für die Dreistaatlichkeit ein (West-Berlin als Insel), fand damit aber keine Mehrheit (schon weil es am Tropf hing, und übrigns auch in Zukunft als „Hauptstadt“ weiter hängen wird). Allerdings gehörte Schneider zu jenen, die gegen die rechtslastige „Deutschland-AG“ aus der Gründungszeit der Grünen Front machten.

Auch die DDR-Opposition gehörte meines Wissens früher nicht zu den Wiedervereinigungsrhethorikern. Ich frage mich, was diese nachträglichen, unglaubwürdigen Revisionen sollen. Anstatt zu versuchen, sich mithilfe des Mainstream-Geredes von dem nationalen „Wieder in Einheit“ und von der vermeintlichen „Revolution aus eigener Kraft“ nachträglich auf die Seite der Sieger zu stellen, sollten Grüne West und Ost ihre Niederlage eingestehen. Denn nur so bleiben sie glaubwürdig.

Von Dirk Schneider muß eine sofortige rückhaltlose Offenlegung verlangt werden. Die Ausrede mit der Staatsanwaltschaft kokettiert unberechtigt mit dem grünen Anti-Repressionsbewußtsein, verhöhnt aber alle die AL-Mitglieder, die jahrelang von rund 100 Spitzeln des West-Berliner Staatsschutzes überwacht wurden und dabei aus ganz anderen Gründen Risiken eingingen. Also Dirk, falls Dir Deine Ideale jemals irgendetwas wert waren, jetzt sind sie gefordert. Felix Weiland, (West-)Berlin

Als ich im Dezember 1989 auf der Mitgliederversammlung der Alternativen Liste mit dem mit anderen unternommenen Versuch scheiterte, die AL endlich von ihrem verhängnisvollen Dogma der deutschen Zweistaatlichkeit abzubringen, war uns zwar klar, daß die mehrheitliche Zustimmung zur Schneider-Linie objektiv den Interessen des SED- Staates diente, von einer direkten Stasi-Abhängigkeit ahnten wir jedoch nichts.

Nicht immer war die AL auf Anerkennungskurs gegenüber der DDR: In den Anfangsjahren war die AL für viele gerade deshalb attraktiv, weil sie beide „Supermächte“ und beide „Militärblöcke“ gleichermaßen ablehnte. Das änderte sich erst Mitte der achtziger Jahre, als es der Gruppe um Dirk Schneider gelang, die Organisation mehrheitlich auf eine unkritische Haltung gegenüber der DDR einzuschwören. Nachdem sie die AL deutschlandpolitisch in die Sackgasse geführt hatten, wechselten die Exponenten der status-quo-orientierten Politik (Dirk Schneider und Harald Wolf) nach der Wende zur PDS und ließen die AL ratlos zurück. [...]

Die jetzigen Enthüllungen beantworten wohl auch die Frage, wem die zahlreichen Einreiseverbote nach Ost-Berlin und in die DDR, von denen auch ich zwischen 1979 und 1987 betroffen war, zu verdanken sind. Hier war Dirk Schneider offensichtlich hilfreich tätig, die „unzuverlässigen“ Grünen von denen auf der „richtigen Linie“ zu unterscheiden.

Dirk Schneiders Einfluß ging weit über Berlin und die AL hinaus. Als grüner Bundestagsabgeordneter und deutschlandpolitischer Sprecher der grünen Fraktion gelang es ihm, die beschönigende und beschwichtigende Haltung gegenüber der DDR innerhalb der Grünen und des linken Lagers insgesamt zu stärken und den wachsenden Glaubwürdigkeitsverlust dieser Kräfte zu fördern. Wie tröstlich, daß gelegentlich das Gegenteil des Angestrebten eintritt! [...] Peter Klepper, (West-)Berlin

Ehrlich ist er ja, der Dirk Schneider, denn was er der Stasi erzählt hat, bezeichnet er heute als Abfallprodukt seiner politischen Überzeugungen. Kein gewöhnlicher Agent also, sondern ein Überzeugungstäter, der heute nicht für falsch hält, was ihm damals recht erschien. Schließlich hat er „keinem Menschen ein Leid angetan“, was sein Stasi-Abteilungsleiter freilich besser weiß, trugen doch Schneiders Informationen zu einer „unerhörten Ernüchterung und Angst“ in der DDR-Opposition bei. Man muß schon blind und gewissenlos sein, um das heute noch als Produkt der eigenen politischen Überzeugung zu rechtfertigen.

Was weit über den Fall Schneider hinausweist, ist die Tatsache, daß er Meinungsführer einer breiten Strömung in AL und Grünen war. Deren Politik ist heute wie damals antidemokratisch und stalinistisch, geprägt von Denkverboten, Diffamierungen und Ausgrenzung. So etwas führte in der Vergangenheit konsequenterweise zur Zusammenarbeit mit dem staatlichen Terrorapparat der DDR.

Es wird in der Zukunft genauso in antidemokratischen Terror führen, wenn diese Stalinisten innerhalb der grünen Partei irgendwann einmal die Macht erhalten sollten, ihre Überzeugungsarbeit konsequent umzusetzen. Eine Aufarbeitung des Verhältnisses der Grünen zur DDR, eine Auseinandersetzung mit den nach wie vor vorhandenen Stalinisten innerhalb der Partei ist also nicht nur Vergangenheitsbewältigung, sondern auch notwendig für ein glaubhaftes Eintreten gegen Unterdrückung, für demokratische Selbstbestimmung aller Menschen und Völker, gegen staatlichen und anderen Terror, für Meinungsvielfalt und produktive Auseinandersetzung. [...] Jochen Storbeck, Lemgo

Das „betroffene“ Aufheulen, die Enttäuschung alter Freunde und von denen aus der alten AL kann ich nur lächelnd zur Kenntnis nehmen: Ich entsinne mich deutlich an ein Gespräch mit Dirk Schneider an unserem Wohngemeinschafts-Fabriketagen-Küchentisch zu Hausbesetzerzeiten 1980 in der Cuvrystraße: Dirk Schneider hat mal so vorbeigeguckt, war von der 'Radikal‘ und von der AL, wir haben geredet, kamen auch auf den Osten zu sprechen. Ich habe ihm gesagt, daß ich erfahrungsgemäß davon ausgehe, daß die Staatssicherheit und die DDR genau darüber orientiert sind, was im linken Spektrum in West-Berlin vor sich geht, daß sie über verschiedene Wege und Methoden sich maulwurfmäßig mit großem Aufwand einen Überblick verschaffen und man sich keine Illusionen machen soll, hier in Berlin irgendetwas unbeobachtet unternehmen zu können. Genauso sei mir klar, daß die DDR-Seite nach wie vor ein Interesse daran habe, meine individuellen Lebensumstände weiter im Blickfeld zu behalten.

Beide Vermutungen haben sich als richtig erwiesen. Dirk Schneider soll bloß nicht weiter behaupten, er habe sich für den Systemausgleich eingesetzt und deswegen mit der Stasi geredet, er hat es von mehreren Seiten anders gehört und erfahren. Aber auf die Leute mit den DDR-Erfahrungen wollten ja die besserwissenden Politanalytiker und Main- stream-ALer nie was geben, die Ostleute waren eh zu einseitig!

Kein später Sieg, wir sind alle die Verlierer. Mechthild Günther,

(West-)Berlin

Nach 68 waren unsere Träume vom demokratischen Sozialismus ausgeträumt. Aber wie lange haben wir gebraucht, uns davon zu verabschieden! In den Achtzigern zeichnete sich uns endlich das Feld ab, in dessen Horizont die Überwindung des „real existierenden Sozialismus“ möglich zu werden schien — erst im Denken, dann auch im Handeln. Und dieses Feld kann mit den Themen „Frieden“, „Gerechtigkeit“ und „Bewahrung der natürlichen Lebensbedingungen“ bezeichnet werden.

Wie froh waren wir, daß es im Westen die Alternativen, die Grünen gab! Wie träumten wir davon, sie würden uns helfen — nicht mit Geld, vielleicht mal ein Buch, aber vor allem: Mut würden sie uns machen! Und die Wirklichkeit? Ein Alptraum!

Gerade so, wie ein Helmut Schmidt von der Kanzel der Potsdamer Nikolaikirche herunter der Opposition in der DDR den Mund verbot, gerade so bekamen wir es von solchen wie Schneider immer wieder zu hören: Haltet still, arrangiert euch!

[...] Und solche wie Sie, Herr Schneider, ob sie sich nun jetzt noch mit dem System, in dem die im Karrierekampf bewährten Kader der Nomenklatura (auch Aparatschiks genannt) jede Menschlichkeit, ja jede Lebensäußerung in der zur Schizophrenie mehrfach gebrochenen gesamtgesellschaftlichen Neurose zu ersticken suchten — ob sie sich also mit diesem System jetzt noch identifizieren oder nicht: Sie sind schuld, wenn fortan alles, was als zur DDR gehörig oder auch nur als „links“ angesehen wird, suspekt ist und „entsorgt“ werden muß. Michael Pietsch, Cramon

Daß der langjährige Funktionär der Alternativen Liste, Dirk Schneider, jetzt als Stasi-Agent enttarnt wurde, wundert mich nicht. Wenn ich ihn in all den Jahren mal auf einer Versammlung der AL erlebte, war er immer damit beschäftigt, die politischen Auffassungen der Westberliner SEW innerhalb der AL zu vertreten. Wieso nur ist Harald Wolf, früher AL, heute PDS, über die Nachricht „geplättet“? Aus Dummheit oder aus kalkulierter Betroffenheit? Schließlich vertrat Wolf bis zum Ende mit Schneider zusammen SED- Positionen in der AL. Ich war nicht geplättet.

Vielmehr konnten sich alte Irritationen meines Weltbildes beruhigen. Denn ich hatte mich schon immer gefragt, ob solche Leute nur aus taktischen Gründen in der AL waren, weil die von ihnen vertretenen Auffassungen doch ganz anderer Art waren. Nun bin ich beruhigt, Bescheid zu wissen, daß meine große Skepsis und mein Unbill gegenüber Dirk Schneider in der AL berechtigt waren. Dr.Ulf Geuter, (West-)Berlin

[...] Dirk Schneider hat gute Arbeit geleistet, er steht dahinter. Sein ganzes Herz legte er noch einmal in die Debatte um die Zweistaatlichkeit: mit Erfolg. Die AL erkannte als letzte aller Parteien die Einheit Deutschlands an. Danach hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan und konnte getrost (zur PDS) gehen.

Ich bin gespannt auf weitere Namen, Enthüllungen, nicht minder auf die, die in der AL für den Verfassungsschutz arbeiteten.

Ich bin gespannt auf die Diskussion in der AL (oder reicht die Enttarnung und der Schrecken, „Entsetzen“ für die eigene Entlastung aus?). Carola Wagemann,

(West-)Berlin

[...] Schneider ist einer derjenigen, derentwegen ich mich heute nur noch ungern als „Linker“ bezeichnen möchte. Daher ist mir leider nicht sehr spaßig zumute, wenn ich jetzt den schon fast vergessenen Namen Dirk Schneider wieder lese, und das im Zusammenhang mit dem MfS. Schon laufen in „der Linken“ die Diskussionen, ob eine juristische (sprich strafrechtliche) Aufarbeitung des Falles Schneider sinnvoll ist. Eine solche würde die Wahrheitsfindung behindern, da hierdurch zum Schweigen genötigt würde, sagt sein politischer Weggefährte Harald Wolf. Eine politische Aufarbeitung sei nötig. Klar.

Aber: Wenn wirklich eine „geheimdienstliche Agententätigkeit“ im Sinne des StGB vorgelegen haben sollte, werden andere über die Frage der juristischen Aufarbeitung befinden als diejenigen, die die Sache politisch aufarbeiten wollen. Und daß die juristische Aufarbeitung die Wahrheitsfindung behindern könnte, kann ich mir auch nicht vorstellen. Von Dirk Schneider werden wir die Wahrheit eh nicht erfahren. Thomas Sonnenschein

(West-)Berlin

Dirk Schneider und seine politischen Freunde Reents (heute PDS), Gottwald, und später Ströbele, haben nach meiner Erinnerung in der ersten Bundestagsfraktion der Grünen immer und zu allen politischen Fragen eine Position vertreten, die weitgehend der Politik des Ostblocks entsprochen hat beziehungsweise diesen schonte. Sie trafen sich dabei mit allen, denen im Zweifel ein antikapitalistisches Gefühl wichtiger war als die realen Menschenrechte der im Sozialismus lebenden. So werden Diktaturen legitimiert.

Dirk Schneider besonders war die politische und inhaltliche Anerkennung der DDR wichtiger als alles andere. Objektiv betrachtet war er deswegen ein sehr effektiver Einflußagent, weil er Teil des zu beeinflußenden Milieus war. Dabei wurden alle diskriminiert, die die Position der grenzüberschreitenden Menschenrechte betonten.

Diese Diskriminierung wirkte innerhalb der Bonner Fraktion der Grünen weit über die deutschlandpolitische Debatte hinaus. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Menschen mit anderen Meinungen wurden zur Unperson gemacht, das galt für Petra Kelly aber auch für viele andere. Nicht immer und manchmal auch zu spät haben wir Realos uns schützend vor die Diskriminierten gestellt. Es machte den besonderen Charakter der Position Dirk Schneiders und seiner Freunde aus — wer nicht „auf Linie“ war, der wurde ausgegrenzt. Es war Stasipolitik unter dem besonderen Mangel von Staatsgewalt und Gefängnissen — wenigstens im Westen. Jo Müller, Hamburg