„Das versteht der Leser nicht“

■ Neue Ausstellung: Wie in der DDR Literatur zensiert wurde

„Hinsichtlich Deiner Bitte, die Gründe unserer Einwendung zu erfahren, kann ich Dir nur mitteilen, dass unsererseits begründete Einwendungen bestehen...“ schrieb Erich Honecker 1951 an Bertold Brecht. Eine Zeile mußte „Berthold“ aus seinem Lied zu den „Weltfestspielen der Jugend“ dann auch streichen. Brecht mußte sich, trotz Protest: „Lieber Erich Honegger“, dem Willen des FDJ-Chefs Honecker beugen. Die Briefe, die „Honegger“ und „Berthold“ wechselten, sind ab heute in der Angestelltenkammer zu sehen.

Die Ausstellung „Zensur in der DDR-Geschichte, Praxis und –Ästhetik' der Behinderung von Literatur“ lädt ein zum Lesen und Wundern. Konzipiert wurde die Sammlung von Texten, Dokumenten und Büchern von Ernest Wichner und Herbert Wiesner vom Berliner Literaturhaus. Im ehemaligen Höpcke-Ministerium hatten sie nach Dokumenten gesucht, die von der Zensur in der DDR erzählen. Beispiele von der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre trugen sie zusammen.

Klaus Höpcke war Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel und stellvertretender Minister für Kunst und Kultur. Er griff mitunter selbst zum Kugelschreiber, um ideologisch „schlimme Stellen“ aus Büchern zu kürzen — jetzt sitzt der Ehemalige als Abgeordneter im sächsischen Landtag. Ein Reizwort wie „Konsumdenken“ mußte durch „Streben nach materiellem Wohlstand“ ersetzt werden. Mit einem Kürzel strich Höpcke seitenweise.

In den Verlagen wurde jedes Manuskript einer Vorzensur unterzogen: Gleichzeitig mit dem Antragsformular auf Druckgenehmigung mußten zwei Begutachtungen bei der Hauptverwaltung eingereicht werden, die über die Veröffentlichung entschied.

Ein Tabuthema waren die „Schrecken der Befreiung“, die Übergriffe der Roten Armee auf die Bevölkerung nach dem Krieg. Sie wurden verschwiegen und verdrängt, denn sie hätten das sozialistische Weltbild des Lesers verwirrt. „Wie kann ein Leser das verstehen?“ lautet da beispielsweise die Randbemerkung eines Zensors.

Hilde Huppert, die in verschiedenen KZs interniert gewesen war, wurde in ihren Erinnerungen „korrigiert“: Aus einem amerikanischen Soldaten, der beim Anblick eines Konzentrationslagers im Westen geweint hatte, wurde kurzerhand ein alliierter Soldat. Arnold Zweig hatte das Buch vergeblich zur Veröffentlichung empfohlen. Auch er mußte z.B. sein bereits 1934 in Amsterdam erschienes Buch „Bilanz der deutschen Judenheit“ im Sinne des sozialistischen Realismus überarbeiten, veröffentlicht wurde es trotzdem nicht.

An der Vorstellung des unmündigen Lesers hielten die Zensoren 40 Jahre lang fest. Für unliebsame Bücher legte man im voraus fest, in welchen Medien ein Verriß zu erscheinen hatte. Man verlangte von den AutorInnen vorauseilenden Gehorsam. Beispiele für die 60er Jahre geben unter vielen anderen die Korrespondenzen zu Volker Brauns „Hinze-Kunze- Roman“ oder Christa Wolfs „Nachdenken über Christa T.“, für dessen Erscheinen sich der Verleger nachträglich im „Neuen Deutschland“ entschuldigte. Als Christa Wolf 1977 wegen Biermanns Ausbürgerung aus dem Vorstand des Schriftsteller-Verbandes austrat, schrieb sie dem Verband: „Aus Erfahrung weiß ich, daß ich diese Lage nicht verändern, die Atmosphäre nicht beeinflussen kann. Meine Hoffnung ist erschöpft. In Vorgänge, die ich nicht durchschaue und verstehe, kann ich mich nicht mehr einmischen.“

Der Künstlerszene am Prenzlauer Berg war es allerdings gelungen, trickreich die Zensur zu umgehen: Sie malten und zeichneten die Bücher — denn bildende Kunst fiel nicht unter die Vorzensur. Solche Bücher waren zwar beinahe unbezahlbar - aber sie kamen auf den Markt, in handverlesener Auflage, zum Teil auch im Westen. Einige besonders schöne Exemplare sind in der Ausstellung zu sehen.

Juan

Podiumsdiskussion mit Katja Lange-Müller, Erich Loest u.a. heute um 20 Uhr in der Stadtwaage