„Ich bin eigentlich ein lieber Kerl“

Im „allerwichtigsten“ EM-Qualifikationsspiel gewann die BRD gegen Wales mit 4:1, pfiff das Nürnberger Publikum Stefan Effenberg aus und leistete sich Trainer Hans-Hubert Vogts einen Affront  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Bei Großveranstaltungen aller Art im Freistaat Bayern läßt sich die Ordnungsmacht keine Gelegenheit zur Selbstdarstellung entgehen. 2.000 Beamte aus dem ganzen Bundesgebiet, zwanzig Polizeigäule und 200 beißkräftige deutsche Schäferhunde waren aufgeboten, damit sich die walisischen Fans als britische Hooligans fühlen konnten. Angebote von Fan-Initiativen, mit Kulturprogrammen die Verständigung von deutschen und walisischen Fans zu organisieren, lehnten DFB und Stadt konsequent ab. „Wir setzen auf die Polizei“, hieß es unisono aus Frankfurt und Nürnberg, und die ließ sich nicht lumpen. Knapp hundert vorläufige Festnahmen reichten für die Legitimation des Großeinsatzes.

Was die Polizei nahezu links liegenließ, organisierten Bürger in Eigeninitiative. Vor jedem Flüchtlingsheim in Nürnberg standen Mahnwachen bereit, um die Asylbewerber vor Übergriffen zu schützen. Den Aktivisten, die ansonsten kaum ihr Herz an die deutsche Nationalmannschaft verloren haben, fiel ein Stein vom selben, als Deutschland das Schicksalsspiel klar gewonnen hatte. Im Falle eines Unentschieden oder einer Niederlage hatten sie sich auf das Schlimmste gefaßt gemacht. Doch Bundestrainer Berti Vogts konnte nach 90 Minuten ein klares Fazit ziehen: „Das war unser bestes Spiel seit der WM.“

Daß zu einem Spiel zwei Teams gehören, betonte sein Kollege aus Wales, Terry Yorath: „Ich bin enttäuscht von meiner Mannschaft.“ In der Tat gingen beide Teams übernervös in die für die Teilnahme an der EM-Endrunde in Schweden vorentscheidende Begegnung. Zufälle bestimmten die erste halbe Stunde. Das 1:0 durch Andy Möller (34.) fiel dementsprechend: Eine kurze Ecke kommt wieder ihm, sein Gegenspieler stolpert, Möller stolpert auch, wankt, fällt jedoch nicht, sondern rafft sich zu einem Schuß vom linken Strafraumeck auf und überwindet den schlecht aufgelegten Keeper Neville Southall.

Wales zeigte sich weiter großzügig und gab einem Mann die Gelegenheit zu jubeln, der zwar bei jedem Ballkontakt der deutschen Volksseele ein tiefes „Ruudi“ entlockte, aber zumindest an diesem Abend durch Harmlosigkeit bestach. Gary Maguire flankte in der 39. Minute unbedrängt in den eigenen Strafraum, wo Völler ebenso unbedrängt nichts anderes übrig blieb, als per Kopf die Flugbahn des Leders ins walisische Tor abzuändern. Jetzt lief das Spiel der deutschen Mannschaft gegen die demoralisierten Waliser, deren Stars Ian Rush und Mark Hughes nur Schatten ihrer selbst waren. Riedles kraftvoller Kopfstoß zum 3:0 (45.) war nur eine Frage der Zeit.

Die zweiten 45 Minuten wären eigentlich kaum der Rede wert, hätte Doll nicht nach einem Vorstoß von Häßler das 4:0 erzielt, wäre Dean Saunders nicht des Feldes verwiesen und wäre die Einwechslung des Youngsters Stefan Effenberg nicht mit einem gellenden Pfeifkonzert der 46.000 quittiert worden. Kapitän Matthäus schämte sich darob über das Nürnberger Publikum, auch Trainer Vogts war schwer enttäuscht: „Wenn man Nationalspielern so gegenüber tritt, darf man sich nicht wundern, wenn sie schon in jungen Jahres das Land verlassen.“ Stefan Effenberg haben die „gnadenlosen Pfiffe unwahrscheinlich wehgetan“, da er immer nur „sein Bestes für Deutschland“ gebe. Er wisse gar nicht, was die Leute gegen ihn hätten, wo er doch „eigentlich ein ganz lieber Kerl sei“.

Während Kicker und Trainer vom Publikum mehr Respekt vor der Nationalelf forderten, blieb einer ganz still. Ersatztorwart und Lokalmatador Andy Köpke ahnte, daß die Pfiffe nicht nur Effenberg galten, der als Bayern-Spieler in Nürnberg naturgemäß unbeliebt ist. Sie galten dem Bundestrainer, der es nicht für nötig fand, beim Stand von 4:0 Andy Köpke vom 1. FC Nürnberg auf den heimischen Rasen einzuwechseln. Doch Vogts blieb hart und schickte Stefan Effenberg ins Verderben, denn zu allem Unglück verursachte der Münchner durch ein Foul an Ian Rush den Elfmeter, der Wales den Ehrentreffer bescherte.

Effenbergs Einwechslung war damit schlichtweg ein Affront gegen das Nürnberger Publikum. Den ganzen Eklat und überhaupt das ganze Spiel hätte man sich aber nach Meinung von Lothar Matthäus sowieso sparen können: „Wir wußten schon vor dem Spiel, daß wir die Besseren sind.“

BRD: Illgner — Binz — Kohler, Buchwald — Reuter, Möller, Matthäus, Doll (79. Effenberg), Brehme — Völler, Riedle (65. Häßler).

Wales: Southall — Bowen, Young (84. Giggs), Ratcliff, Bodin — Horne, Maguire (46. Speed), Melville, Hughes — Rush, Saunders (51. Platzverweis).

Zuschauer: 46.000, Tore: 1:0 Möller (34.), 2:0 Völler (39.), 3:0 Riedle (45.), 4:0 Doll (73.), 4:1 Bodin (84./Elfmeter).

Tabelle: 1. Wales 7:3, 2. BRD 6:2, 3. Belgien 5:5, 4. Luxemburg 0:8.

Restprogramm: Wales — Luxemburg, 20.11. Belgien — BRD, 17.12. BRD — Luxemburg.