Kambodscha vor dem Friedensschluß

■ Weltsicherheitsrat beschließt Entsendung der ersten Blauhelme/ 340.000 Flüchtlinge vor der Rückkehr

Berlin (taz) — Mit der Unterzeichnung des Kambodscha-Friedensabkommens in Paris am 23. Oktober wird der offizielle Beginn einer gewaltigen UN-Operation in dem südostasiatischen Land eingeleitet. Nach 13 Jahren Bürgerkrieg soll der „Supreme National Council“ (SNC) unter Vorsitz von Prinz Norodom Sihanouk als Übergangsregierung in Phnom Penh installiert werden.

Am Mittwoch stimmte der Weltsicherheitsrat der Entsendung erster UNO-Sicherheitstruppen nach Kambodscha zu. Unmittelbar nach dem 23. Oktober soll ein aus 268 Personen bestehendes Vorauskommando in das zerrüttete Land geschickt werden. Über 10.000 UNO-„Friedenssicherer“ werden später die Umsetzung des Friedensplans überwachen.

Zähe Verhandlungen zwischen den vier Bürgerkriegsfraktionen hatten im Sommer zu einer Einigung geführt, nach der auf der Grundlage des UN-Plans vom September 1990 die Armeen weitgehend entwaffnet und freie Wahlen vorbereitet werden sollen.

Dabei steht die UNO vor einer höchst komplizierten Aufgabe. Zwar haben die Verbündeten der Bürgerkriegsgegner, insbesondere China, Vietnam und die USA, die vier Fraktionen zu einer prinzipiellen Annahme des UNO-Plans gezwungen. Doch über die Details herrscht in weiten Bereichen Dissens. Welche Funktionen kann der SNC, in dem Vertreter aller vier Gruppen repräsentiert sind, wahrnehmen? Wieweit ist die bislang von Hanoi gestützte Regierung unter Ministerpräsident Hun Sen bereit, Macht abzutreten? Welche Intentionen haben die Roten Khmer, deren brutales Regime nach der vietnamesischen Invasion 1978 aus Phnom Penh vertrieben worden war und die über die stärkste Armee der Widerstandskoalition verfügt? Wie kann der Waffenstillstand gesichert und die Vorbereitung der für 1993 geplanten Wahlen kontrolliert werden?

Die regierende „Revolutionäre Volkspartei Kampucheas“ stellt sich auf ihrem gegenwärtigen Parteitag auf die neue Lage ein. Sie will sich nun „Kambodschanische Volkspartei“ nennen und ihr Parteiprogramm „radikal reformieren“. Premier Hun Sen schlug vor, Prinz Sihanouk solle Präsident Kambodschas werden. Es sei notwendig, die Kandidatur von Partei- und Staatschef Heng Samrin zurückzuziehen, erklärte Hun Sen, damit „eine Persönlichkeit mit genügend Einfluß“ eine neue politische Krise in Kambodscha abwenden könnte. Darüber hinaus werde sich die Partei angesichts der neuen Aufgaben in Kambodscha der freien Marktwirtschaft und „demokratischen Zielen“ öffnen.

Das Mißtrauen gegen die Roten Khmer hat durch jüngste Berichte aus den von ihnen kontrollierten Flüchtlingslagern in Thailand neue Nahrung erhalten. Danach sollen die Roten Khmer Lagerbewohner bereits jetzt zur Rückkehr zwingen, um sich in Kambodscha eine Machtbasis zu sichern. In mehreren Lagern an der Grenze zu Kambodscha leben etwa 340.000 Flüchtlinge, die darauf warten, in ihre Heimat zurückzugehen und dort wieder Land zu erhalten. Nach dem UN-Plan sollen sie unter der Ägide der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR nach dem 23. Oktober zurückkehren.

Der UNHCR will die Flüchtlinge in „geordneten“ Gruppen von 10.000 Personen pro Monat zurückbringen. Denn die Infrastruktur des Landes ist zerstört, im Norden und Westen und an der Grenze zu Thailand liegen noch Hunderttausende Landminen und marodierende ehemalige Soldaten der Bürgerkriegsarmeen verunsichern das Land. Mit einem Budget von 109 Millionen US- Dollar — von denen allerdings erst neun Millionen eingetroffen sind — soll gewährleistet werden, daß die Flüchtlinge unter „würdigen Umständen“ zurückkehren können. Jutta Lietsch