Keine Klimakatastrophe gefährdete den Finanzgipfel der Pragmatik

Gestern endete die IWF/Weltbank-Tagung in Bangkok — und alle, alle gaben sich „market-friendly“  ■ Aus Bangkok Dietmar Bartz

Nur eine Delegation kam durch: die aus Tirana. Albanien ist das 156. Mitgliedsland von IWF und Weltbank geworden. Mit einer Quote von 0,03 Prozent wird das Land künftig ebenso einflußreich sein wie die Mongolei oder Swaziland. Im nächsten Jahr werden die beiden Weltfinanzorganisationen dann einen größeren Sprung nach vorne machen: Litauen, Lettland und Estland, aber auch die Schweiz, Nordkorea, Mikronesien und die benachbarten Marshall-Inseln wollen die Zahl über 160 treiben.

Von den Flächenstaaten fehlt also nur noch Taiwan, ein brisantes politisches Problem. Vielleicht wird zur nächsten Herbsttagung in Washington auch der Antrag der Sowjetunion auf Vollmitgliedschaft vorliegen — wenn es diesen Staat dann noch gibt. Sonst werden die Zerfallsprodukte des realen Sozialismus vorstellig werden. Vielleicht folgen danach endlich auch die letzten Kolonien — wie Neu-Kaledonien, das derzeit noch als französische Überseeterritorium geführt wird. Und Slowenien? Tibet? Eritrea?

Lewis T. Preston, neuer Präsident der Weltbank, nannte es zum Schluß der Jahrestagung denn auch „beeindruckend“, wie sehr in Bangkok die „Pragmatik anstelle steriler ideologischer Dispute“ vorgeherrscht habe — als ob „market-friendly“, das beherrschende Adjektiv, nicht ebenfalls ideologisch wäre. Der Gipfel des Pragmatismus war der geglückte Versuch, den Rückhalt der Industrieländer für die kapitalistischen Reformen in der UdSSR zu finden, auch wenn das mehr das Thema der G-7 als das des IWF ist. Es hätte aber wohl eine klimatische Katastrophe bedeutet, wenn irgendeine Delegation ihr Bedauern über diese Entwicklung ausgedrückt hätte. Selbst der chinesische Finanzminister Li Guixian mochte, als er in seiner Rede auf der Vollversammlung die „Umstrukturierungen“ in Osteuropa und der UdSSR erwähnte, nur die größeren „Schwierigkeiten“ beim Zugang der Entwicklungsländer zu finanzieller Hilfe erwähnen.

Bei neuen Initiativen für die Schuldenreduzierung hat das Jahrestreffen versagt, umso mehr, weil nach der Lesart der beiden Organisationen das allerschlimmste geschafft ist. Die Ursache für die Blockade einer weitergehenden Erleichterung für die ärmsten Länder liegt einmal mehr beim US-Kongreß, der einer Ausweitung der „Toronto-Terms“ (ein Drittel der Schulden zu erlassen) auf die „Trinidad-Terms“ (zwei Drittel) nicht zustimmen mochte. Absurde Realität: Weil in den USA eine Schuldenreduzierung aus haushaltsrechtlichen Gründen unzulässig ist, müssen die armen Länder eben auf den nächsten US-Etat warten.

Hauptthema bei den „Konditionalitäten“, den Bedingungen, an die die Vergabe von Krediten gekoppelt wird, waren die Militärausgaben. Camdessus wie Preston machten zum Schluß — und sicherlich zur Beruhigung solcher Länder wie Indien, Pakistan, Südkorea oder der Türkei — noch einmal deutlich, daß sie keinesfalls formell eingeführt werden wird. Sinnvoll waren die starken Worte dennoch: Sie werden denen den Rücken stärken, die in ihren Heimatländern gegen die Wünsche der Militärs vorgehen.

Doppelzüngigkeit herrschte auch bei den Anpassungsanforderungen des protektionistischen Nordens gegenüber dem auf Kapital angewiesenen Süden. Der Doppelcharakter von IWF und Weltbank zeigte sich einmal mehr, gegenüber den Entwicklungsländern durchsetzungsstark und gegenüber den Industrienationen hilflos zu sein. Die ganze Großveranstaltung unter das Motto „Vom Jahrzehnt der Anpassung zum Jahrzehnt des Wachstums“ zu stellen, mochte sich, obwohl die Formel ab und zu einmal auftauchte, aus den Industrieländern niemand trauen — schließlich stecken gleich mehrere G-7-Länder in der Rezession. Prompt leiden vor allem die Länder, die sich in den achtziger Jahren vom IWF Exportorientierung hatten auferlegen lassen, unter der schwachen Weltkonjunktur am meisten.

Die Wachstums- und Schwellenländer Südostasiens konnten sich als Modelle präsentieren. Von der Konfrontation mit den Kosten des Wachstums blieben die Delegierten des Nordens in den klimatisierten Räumen ihrer Luxushotels verschont. So dürften auch die Verkehrsprobleme der Achtmillionenstadt Bangkok dank der Polizei, die die Wege freihielt, nicht recht nachzuvollziehen gewesen sein. Die Slums, denen etwa bei den Jahrestagungen in Washington so leicht auszuweichen ist, sind hier allerdings über die ganze Stadt verstreut und vermutlich auch durch die getönten Scheiben des Volvo-Limousinenservices gut erkennbar gewesen.

Die Opfer des exportorientierten Wachstumsmodells mußten selbstverständlich draußen bleiben. Die Pflichtlektüre der 15.000 Angereisten hielt jedoch ordentlich dagegen: Der 'Bangkok Post‘ und der 'Nation‘, den beiden auf englisch erscheinenden Tageszeitungen Bangkoks, die über den Gegen-Kongreß und die soziale Situation in Thailand ebenso ausführlich wie über die IWF/Weltbank-Tagung berichteten, dürfte es zu einem guten Teil zu verdanken sein, daß die rechte exotische Stimmung nicht aufkommen wollte. Die zahlreichen Bemerkungen bei den Empfängen und an den Buffets belegen dies. Daß sich dies auf den Appetit dämpfend ausgewirkt hätte, war nicht zu beobachten.