„Liebe Regierung, so geht's nicht!“

■ Arbeitslosenhilfe ist laut Bundessozialgericht künftig nicht mehr abhängig von Unterhaltszahlungen

Berlin (taz) — Streicheleinheiten für Arbeitslose, Ohrfeigen für die Bundesanstalt für Arbeit und das Bonner Bundesarbeitsministerium: Das Bundessozialgericht hat gestern auch die nachgebesserte Grundlage zu einer leidigen Praxis der Arbeitsämter verworfen. Die Bundesanstalt für Arbeit, so der komplizierte Spruch der obersten deutschen Sozialrichter in Kurzform, darf die Arbeitslosenhilfe nicht generell um mögliche Unterhaltszahlungen von nahen Familienangehörigen kürzen. Zumindest in den Fällen, in denen Arbeitslose mit einer qualifizierten Berufsausbildung durch eine minderqualifizierte Tätigkeit selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen könnten, darf der fiktiv festgesetzte Unterhaltsbetrag nicht von der Arbeitslosenhilfe abgezogen werden. Denn nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes braucht niemand einen Job weit unterhalb seiner Qualifikation annehmen.

Mit dieser Entscheidung hat der 11.Senat einen vorläufigen Schlußstrich unter einen jahrelangen Rechtsstreit gezogen: Schon 1988 hatte das Bundessozialgericht mit einem aufsehenerregenden Grundsatzurteil eben jene Kürzungspraxis der Bundesanstalt für Arbeit für unzulässig erklärt. Das zuständige Bundesarbeitsministerium versuchte zu retten, was zu retten war und bastelte eifrig eine neue Rechtsverordnung. Schließlich geht es um viel Geld. Rund 400 Millionen Mark spart die Arbeitslosenversicherung jährlich durch die Anrechnung der Unterhaltsansprüche. Die Rechtsverordnung wurde von den Gerichten in der Luft zerpflückt, und das Bundesarbeitsministerium besserte 1989 mit einem Zusatz zum Paragraph 137 des Arbeitsförderungsgesetz nach. Sinngemäß hieß der: Wer auf seine Unterhaltsansprüche gegenüber Familienangehörigen verzichtet und sich nicht zu jedweder Arbeit auch unterhalb der beruflichen Qualifikation bereit erklärt, bekommt die Arbeitslosenhilfe gekürzt. Auch diese Regelung wurde von etlichen Sozial- und Landessozialgerichten verworfen und landete so gestern beim Bundessozialgericht. Und das erklärte unmißverständlich: Verehrte Bundesregierung, so geht es nicht. Was ihr da ins Gesetz geschrieben habt, ist dasselbe in Grün, dieselbe Praxis, die wir doch schon 1988 für unzulässig erklärt haben.

Die gestrige Grundsatzentscheidung wird Leitlinie sein für zahllose Verfahren, die derzeit bei den unteren Instanzen der Sozialgerichte in der Warteschleife lagern. ArbeitslosenhilfeempfängerInnen haben gute Karten, mehr Geld zu bekommen, sofern sie Widerspruch gegen entsprechende Kürzungsbeschlüsse einlegen. Und der Gesetzgeber in Bonn muß sich schleunigst überlegen, wie er aus dem juristischen Dilemma rauskommt, denn unabhängig von dem gestrigen Urteil liefe die bestehende Regelung Ende dieses Jahres aus. Die Hohen Richter konnten den Bonner Paragraphenschreibern gestern jedoch keinen auch verfassungsrechtlich gangbaren Ausweg aufzeigen. Die unanfechtbarste und gerechteste Lösung wäre, die Arbeitslosenhilfe endlich unabhängig davon zu machen, ob irgendwo noch ein gutverdienender Vater oder eine Mutter mit einer mittleren Rente zur Kasse gebeten werden können. (Az.: 11 RAr 125/90) Ve.