Tagebuch vom 22.Juli 1944

Seit gestern liege ich in unserer Baracke im Bett. Schon beinahe drei Wochen arbeite ich in der Küche und bin todmüde. Ich glaube nicht, daß ich zum Küchenkommando zurückgehe. Ich verbrauche dort mehr Kräfte, als ich mir durch zusätzliches Essen verschaffen kann... Um 2.30 Uhr werden wir geweckt. In der Baracke ist es stockdunkel. Man muß deshalb abends seine Kleider am Fußende bereitlegen, damit man morgens alles in der richtigen Reihenfolge anziehen kann... Dann hinaus aus der Baracke, in der noch alles schnarcht (o wie beneidet man die, die jetzt noch zwei Stunden schlafen dürfen!). Kalter, feuchter Nebel hängt über dem Stacheldraht. Am Zaun sieht man eine rote Laterne näherkommen das bedeutet, daß er — nämlich der Oberscharführer des Küchenkommandos — uns abholt und daß es also etwa 3.10 Uhr ist. Das rote Licht ist notwendig wegen der Wachtposten auf den Türmen, die auf diese Weise erkennen können, daß hier jemand kommt, der die Erlaubnis besitzt, auf der Lagerstraße zu gehen — andernfalls schießen sie nämlich. Um 3.30 Uhr ist in der Küche bereits Hochbetrieb. Die Mädchen waschen die Kaffeegamellen aus, die noch vom vorigen Abend ungereinigt dastehen, oder sie spritzen sie mit langen Gartenschläuchen ab. Die jungen Männer zünden das Feuer unter den großen Kesseln an..., wir (müssen) ohne Pause durcharbeiten, bis die Arbeit diese Tages getan ist. Das hätte ich mir früher wirklich nicht träumen lassen, daß ich eines Tages um halb vier Gamellen schleppen oder mit benommenem, müdem Kopf an der großen Kartoffelreibe sitzen würde, an der man sich die Finger blutig reißt. Um halb fünf brüllt der Scharführer den Befehl: „Kaffee raus.“ Innerhalb von vier Minuten steht der Kaffee für die paar tausend Lagerinsassen vor der Küchentür... Ein SS- Mann schließt das Lagertor an der gegenberleigenden Seite der lagerstraße auf, und unter seinem Schimpfen und Fluchen schleppen die „Gamellenträger“ den kochend heißen Kaffee hinüber, der das einzig Warme ist, was die Arbeiter bis zum Mittag erhalten... Und der Krieg? Geht weiter und weiter! Gerüchteweise verlautet: Schlacht bei Lemberg, in Frankreich und Italien langsames Vorrücken der Alliierten. Der Hunger im Lager ist schrecklich. Vorgestern abend wurden rohe Futterrüben gebracht. Die Menschen stürtzen sich darauf und schlugen sich darum. Und der Scharführer stand dabei, schlug sich lachen auf die Schenkel, weil die Leue so etwas aßen...