Zeitlose Geschmacklosigkeit

Zeitlose Geschmacklosigkeit

Spätestens als den sozialistischen Gästen die proto-futuristischen Großraumcafés und gekachelten Automatenrestaurants auf die Nerven zu fallen begannen, wucherten die kleinbürgerliche Rüschengardine, die rustikale Bauernecke und der schmiedeeiserne Garderobenhaken in die Gaststuben der sozialistischen Gastronomie zurück. Der Bauer, vordem nur notdürftig vergesellschaftetes, zudem ideologisch unsicheres und rückschrittliches Individuum, bekam seine buntgewürfelte Tischdecke wieder. Der Bürger seine Laterne mit Butzenscheiben und die Lampe mit Biedermeiertroddeln.

Gemütlichkeit und Gastlichkeit hießen die neuen Schlagworte. Über dem Tresen hing eine, mehr ernste als scherzhafte, Keule, Grünzeugs allenthalben und die Speisekarten bekamen ledergeprägte Hüllen und albern-ausführliche Anpreisungen der hybriden DDR-Kost. Alles vorbei, sollte man denken. Alles perdu.

Doch Geschmacklosigkeit ist zeitlos, und »Soljanka«, »pikantes Würzfleisch« und »Schlemmertoast nach Art des Hauses« geistern noch immer zählebig auch durch hauptstädtische Gaststätten. In der Regel jedoch befleißigen sich gastronomische Neugründungen im Osten Berlins einer internationalen Ästhetik — oder was man darunter zu verstehen meint. Doch es geht auch anders. Sozusagen erbemäßiger. Natürlich muß solch ein Wirt diverse Konzessionen an den neuen Publikumsgeschmack machen. Aber die dürfen sich in Grenzen halten und sind austauschbar, während das Grundgefühl sehr beständig ist. Sehr zäh, sehr häßlich und sehr humorlos. Und wenn dann diese Kneipe sich auch noch »Zum Afrikaner« nennt, zwei Affen als Signet über die Tür plaziert und mit überlauter Schlagermusik das angrenzende Viertel quält, dann verbinden sich alte und neue deutsche Gewohnheiten zu einem wahrhaft anheimelnden Erlebnis.

Im Zum Afrikaner ist das neue deutsche Proleteninterieur sowohl in seiner Reinkultur als auch seiner Unwandelbarkeit manifest. Neben dem Messinggarderobenhaken und dem unausweichlichen Hinweisschild »Wir übernehmen keine Haftung«, oder »Nicht anlehnen«, oder »Ausschankschluß ist um..., mindestens aber eine halbe Stunde vor Schluß« existieren ratternde Spielautomaten. Neben den bis auf Brusthöhe holzgetäfelten Kneipenwänden findet man Plastik-Tiffanylampen. Neben Leuchtreklame findet sich klebriger Anbauwandkitsch. Für die Queues beim Billardspiel muß man Pfand bezahlen; die Tür hat offen zu bleiben, das Bier ist aus dem Osten, die Gläser kommen aus dem Westen. Die Gäste aus dem Osten, die Details aus dem Osten, die Topologie des Raumes aus dem Westen, wie es auch das Toilettenpapier ist. Das alles ist keine Zeile wert, wenn die Kneipe nicht neu wäre. Und außerdem Zum Afrikaner heißt. Berlin ist eben doch multikulturell. Zumindest im Osten. Für Frieden und Freundschaft, seid bereit. Immer bereit.