■ DIE BESTEN KELLNER DER STADT: Enzo mit dem rasenden Stakkatogang
Man sieht ihm den Italiener nicht auf den ersten Plattblick an — beobachtet man ihn aber länger, sein hektisches Rauchen, sein Lachen, hinterhältig und warmherzig zugleich, seine zurückhaltende Genervtheit, die unglaubliche Professionalität der Bedienung, sein freches Flirten mit Männern wie Frauen, den unauffälligen Blick der Abschätzung eines neuen Gastes — und natürlich die unnachahmliche Sprache mit all den langgezogenen Vokalen und abgehackten Konsonanten... dann ist er der Italiener mit all den Eigenschaften, die wir an seinen Landsleuten schätzen und lieben gelernt haben. Er kam in den Sechzigern von Trient nach Deutschland, arbeitet seit fast sieben Jahren im »Bovril«, einem Restaurant am Kudamm (Olivaer Platz) und verführte mich vom ersten Augenblick an durch seine unverschämte Liebenswürdigkeit. Zu der paßt auch die Geschichte, die mir die Pressefrau eines amerikanischen Filmverleihs erzählte, wie er einst zu Götz George, der als Gast einer Filmparty dort weilte, sagte : »Wir, in unsere Alter, wissen, wie der Hase läuft, nä?!« George, nicht gerade bekannt für Humor, soll sofort und empört das Lokal verlassen haben. Enzo ist jetzt 59 und rast durch den Laden, als wolle er die noch abzuarbeitenden sechs Jahre bis zur Rente im Viertel der Zeit hinter sich bringen. Er ist ein Menschenkenner, deshalb hat er bei mir sofort erkannt, daß ich ein armes, vater- und orientierungsloses Wesen bin, die eine strenge aber liebevolle Hand braucht. Ohne die Chance eines Widerspruchs weist er mir den Tisch direkt an der Bar, wo er mich im Auge haben kann, und bringt mir keinen Schnaps, wenn ich nicht vorher was Anständiges gegessen habe — und was Anständiges ist für den wahren Italiener immer eine ordentliche Fleischportion. »Man muß begreifen, was für ein Typ der Gast ist. Es gibt Leute, die sind grundsätzlich unzufrieden, und andere, die kann man mit den kleinsten Dingen erfreuen«, grinst er teuflisch. »Und dann gibt es zum Beispiel diejenigen, die plötzlich zu Geld gekommen sind. Da spürt man, daß sie dieses Geld ausgeben wollen. Es ist ihnen egal, was sie essen oder trinken, Hauptsache, es ist das Teuerste auf der Karte — man wäre ein schlechter Kellner, wenn man das nicht nutzen würde...« Natürlich ist Enzo kein schlechter Kellner. Er nutzt, aber nutzt nie aus. Sein Chef muß ihn liebhaben, sonst hätte er es nicht so lange mit ihm ausgehalten, denn »es ist nicht einfach, mit Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten. Der Leitsatz ‘Guten Service soll man nicht sehen, nicht hören, nicht riechen, sondern nur merken‚ ist nicht Enzos Sache; aber wenn er gute Laune hat, ist es wunderbar, mit ihm zusammen zu arbeiten.« Enzo ist launisch, man kann ihn nicht übersehen, überhören, überriechen (wie jeder gute italienische Mann riecht er natürlich fantastisch!), aber man kann ihn genießen. In vollen Zügen. Allerdings nur, wenn man Spaß an Persönlichkeiten hat. Und der Wirt wäre kein erfolgreicher Wirt, würde er nicht die Attraktion von seltenen Persönlichkeiten nutzen. Enzos Pendant im »Bovril« heißt Heinz, nein, »Herr Heinz«, und Herr Heinz ist in jeder Hinsicht das Gegenteil. Am liebsten hätte man sie ständig beide um sich. Herr Heinz ist von diskret-spöttischer Höflichkeit, nie würde er mich zur Begrüßung und zum Abschied mit meckerndem Gelächter küssen und drücken wie Enzo. Herr Heinz beugt nur leicht das Haupt und manchmal erzählt er von seiner Zeit in Wien. Eine ideale Kombination. Würden sie zur Currywurstbude wechseln, ginge ich mit ihnen. Renée Zucker
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