»Diepgens Zenith ist überschritten«

■ Der CDU-Abgeordnete Adler wirft Diepgen »Ängstlichkeit« vor/ Keine klare Abkehr von rot-grün

Berlin. Die Wilmersdorfer CDU forderte am vergangenen Freitag auf einer Kreisdelegiertenversammlung den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen auf, das Amt des CDU-Landesvorsitzenden abzugeben. Die taz fragte Jürgen Adler, Wilmersdorfer CDU-Abgeordneter und Kreisvorstandsmitglied, nach den Beweggründen für diesen Beschluß.

taz: Warum soll Eberhard Diepgen den Landesvorsitz abgeben?

Jürgen Adler: Das hat mit der speziellen Situation der Großen Koalition zu tun. In einer solchen Koalition müssen naturgemäß Kompromisse umgesetzt werden, die nicht in allen Punkten mit den Forderungen übereinstimmen, die die CDU im Wahlkampf erhoben hat.

Die Partei muß deshalb unabhängig von der Koalitionsregierung agieren können. Nur dann kann sie Profil gewinnen oder behalten. Eine Person kann diese beiden Funktionen nicht gleichzeitig ausfüllen. Der Regierende Bürgermeister Diepgen hat das Interesse, daß die Koalitionsarbeit in ruhigen Bahnen verläuft. Als Parteivorsitzender müßte er genau das Gegenteil wollen. Und das geht eben nicht.

Die Wilmersdorfer CDU galt immer als linker Kreisverband innerhalb der Berliner Partei. Müßte es Ihnen nicht gerade recht sein, daß sich Eberhard Diepgen leicht sozialdemokratisch angehaucht darstellt?

Nein. Wir sind sehr skeptisch und zurückhaltend gegenüber dem, was in den letzten Jahren in Berlin sozialdemokratische Politik bedeutet hat, vor allem in der rot-grünen Koalition. Wir sehen deshalb mit einer gewissen Abneigung, daß innerhalb der CDU/SPD-Koalition eine — wenn auch stark reduzierte — Fortschreibung von Rot-Grün möglich ist.

Zum Beispiel im Ausländerbereich, aber auch in der Verkehrspolitik. In der Koalitionsvereinbarung haben sich CDU und SPD verpflichtet, ihre gemeinsame Politik auch in den Bezirken umzusetzen.

Das wird nirgends praktiziert. Wilmersdorf wird nach wie vor mehrheitlich von einer rot-grünen Truppe verwaltet. Und Diepgen denkt natürlich nicht im Traum daran, seinen sozialdemokratischen Partner dazu zu kriegen, diese Politik zu verändern. Darüber ist die Basis hier in Wilmersdorf natürlich einigermaßen verärgert.

Es gibt die verbreitete Kritik am Senat, er halte sich zu oft mit Kleinigkeiten auf: mit dem Streit um die Öffnung des Brandenburger Tores, Tempo 30 oder das Lenin-Denkmal. Teilen Sie diese Kritik?

Nur partiell. Der Senat arbeitet viel und in vielen Bereichen auch gut. Aber es wirkt ein bißchen kleinteilig. Andererseits warne ich davor, die Symbolik in der Politik zu unterschätzen.

Die Debatte um das Lenin-Denkmal hat Symbolcharakter. Wer das unterschätzt, ist fast unpolitisch.

Die Kleinteiligkeit — ist das Ihrer Meinung nach auch Diepgens Schuld?

Ja, mit Sicherheit. Das ist ein Mann, der sich in allen Bereichen vorsichtig bis zur Ängstlichkeit ums Detail kümmert. Und wenn Sie das in einer Regierung tun, die wie jetzt vor solch ungeheuren Aufgaben im Prozeß des Zusammenwachsens steht, dann kommen Sie natürlich zu solchen Problemen.

Glauben Sie, daß diese Kritik von größeren Kreisen in Ihrer Partei geteilt wird?

Es gibt weite Bereiche der Partei, die das so sehen. Ich will nicht sagen, daß das eine Mehrheit ist. Aber die Basis ist unzufrieden. Diepgen ist schon sehr kritisch gesehen worden, als er zur Zeit des rot-grünen Senats Oppositionsführer war.

Auch damals hat er sehr viel getan, ohne allerdings die nötige Fortune zu haben. Nicht zuletzt, weil die Medien ihn ohne das Bürgermeisteramt nicht sehr mochten...

... Oppositionspolitiker haben es da immer schwerer.

Zum Teil war das auch ein bißchen mehr als das. Schon da hatte die Basis, vor allem aber auch die Fraktion den Eindruck, daß sein Leistungszenith überschritten war. Wir haben heute eigentlich nicht den Eindruck, daß sich das so entscheidend verändert hätte.

Interview: Hans-Martin Tillack