Mit Holzkeulen gegen die Tomahawks

■ In den USA beginnt heute die Baseball-„worldseries“ zwischen den Atlanta Braves und Minnesota Das Überraschungsteam aus Atlanta gehört dem Jane-Fonda-Freund und CNN-Boß Ted Turner

Frankfurt/Main (taz) — Jedes Jahr im Herbst wissen die Amerikaner eins mit Sicherheit: Gott liebt Baseball. Denn niemand anderes als der Allmächtige kann ein solch vollkommenes Spiel der Menschheit geschenkt und ein einziges Volk ausgewählt haben, es für ihn zu spielen. Ein Lederhandschuh, eine Holzkeule, eine Stoffkappe und einen kleinen lederüberzogenen Ball, der genau in eine Hand paßt: Heiligtümer einer Nation.

Der Gipfel einer Baseballsaison findet alljährlich im Oktober statt, wenn die beiden besten Mannschaften der Major League in sieben Spielen einen Sieger ermitteln. Genügsam und bescheiden haben die Amerikaner diese Auseinandersetzung „worldseries“ genannt: Weltmeisterschaft. Zu gewinnen gibt es für die Spieler den „worldseries“-Ring, auf den alle scharf sind, denn er ist mehr wert als jeder Millionenvertrag und gewährt für alle Ewigkeit Zutritt in den Baseball-Olymp.

Auch dieses Jahr hat die an Historie nicht gerade arme Baseballgeschichte den Chronisten ein weiteres Novum bescheren können. In der „worldseries“, die heute beginnt, stehen sich zwei absolute underdogs gegenüber, die im Jahr zuvor jeweils den letzten Platz in ihrer Division geziert haben. In der American League West verwiesen die Minnesota Twins die weitaus höher eingeschätzte Konkurrenz aus Chicago und Oakland in die Schranken. Auch in der Meisterschaftsserie gegen die Ostsieger, die Toronto Blue Jays, behielten die Twins überraschend mit 4:1 die Oberhand, und der kleine Dickwanst aus dem Außenfeld, der hüftstarke Kirby Puckett, wußte keine Erklärung: „So ist Baseball. Einer gewinnt, und einer verliert. Das ist alles.“

In der National League ging es weitaus turbulenter zu. Die Sensationsmannschaft waren hier die Atlanta Braves. Jahrelang haben die Südstaatler mit dem zweifelhaften Ruf leben müssen, die Schießbude der Liga zu sein. Zu recht, denn viermal hintereinander wurden sie letzter in der Westdivision und steigen nur nicht ab, weil es keine Absteiger gibt. Ted Turner, der Besitzer, trug sich mit dem Gedanken, diese Gurkentruppe endgültig aufzulösen und in eine andere Stadt zu verkaufen.

Doch 1991 wendete sich überraschend das Blatt. Durch die jahrelangen schlechten Plazierungen in der National League hatten die Braves Zugriff auf die besten Nachwuchsspieler und konnten sich ein erfolgshungriges Team aufbauen. Mit rotzfrecher Offensive und unverschämten Kampfgeist legten sie jeden Respekt vor den großen Traditionsteams aus New York und Los Angeles ab. Mit Steve Avery, einem 21jährigen „flammenwerfenden“ Milchbubi, der Andreas Thoms Zwillingsbruder sein könnte, haben die Braves sogar einen Star. Fachleute sind sich sicher, daß Avery der beste linkshändige Werfer ist, den die Liga seit langem gesehen hat.

Nach dem 4:3-Sieg in sieben Spielen gegen die Pittsburgh Pirates jubelte mit Ted Turner auch der gesamte Südosten. Es war die erste Meisterschaft, die je eine Mannschaft aus Atlanta gewonnen hatte. Hysterisch schwang das Volk den Tomahawk, das Wappen der Braves. Sehr zum Leidwesen der Indianer, die sich in ihrer Ehre gekränkt sahen. Turner kümmerte das reichlich wenig.

Das „Großmaul des Südens“ konnte dieses Jahr einen ganz persönlichen Grand Slam verbuchen. In allem, was ein echter Mann begehrt, hatte er unverhofft Erfolg: im Beruf (mit seinem Fernsehnachrichtensender CNN), in der Liebe (mit der Schauspielerin Jane Fonda) und sogar im Hobby (mit den Baseballern der Atlanta Braves). Letzteres hatte wirklich niemand erwartet. Andreas Lampert