HAVANNA CLUB & BIOZWIEBELN

■ Vom gemeinsamen Leben auf dänischem Land: 82 Frauen und Männer kauften vor 13 Jahren ein altes Gut, um dort zusammen zu leben und zu arbeiten. Skeptiker sagten ein baldiges Ende dieses Versuchs voraus...

Vom gemeinsamen Leben auf dänischem Land: 82 Frauen und Männer kauften vor 13 Jahren ein altes Gut, um dort zusammen zu leben und zu arbeiten. Skeptiker sagten ein baldiges Ende dieses Versuchs voraus. Heute ist „Svanholm“ das größte und wirtschaftlich erfolgreichste Kollektiv Dänemarks.

VONKARLANTON&VORORTH

Es stinkt nach Gummi und Benzin, die Luft flimmert, die Wagen röhren. Zum letzten Mal setzt einer der Fahrer zum Überholen an, aber da ist kein Vorbeikommen mehr. Der Lotus von Thomas Mullin rast als erster über die Ziellinie in Knutstorp, der Ire hat es geschafft: Er ist dänischer Meister 1990 in der „Formel 2000“, der wichtigsten dänischen Automobilsportklasse.

Inmitten des schnieken, modisch aufgestylten Rennpublikums nimmt sich eine Gruppe von Zuschauerinnen und Zuschauern seltsam fremd aus: Frauen in Baumwollkleidern und selbstgestrickten Pullovern, Männer mit Bärten, Stirnbändern und hölzernen Schlappen. Leute aus Svanholm, heißt es, „klassische Alternative“, fast wie dem Bilderbuch der siebziger Jahre entsprungen. Und so was von am falschen Platz.

Als der Sieger auf dem Treppchen steht, knallen die Korken. Ausgerechnet die Svanholmer schenken Sekt für alle aus. Sie haben Grund. Schließlich feiern sie einen von ihnen. Mullin arbeitet im Svanholm- Kollektiv als Automechaniker, und er führt das Zeichen von Svanholm auf seinem Rennwagen: zwei einander zugeneigte Schwäne, die ein Herz umschließen.

Das ist ein Jahr her, aber noch heute strahlt der kleine Mann mit den grauen Locken über beide Wangen. Während er erzählt, zieht er die Schrauben an einem verbeulten Lada fest, einem der zwanzig Autos, die dem Kollektiv gehören und den Zugang zum Anwesen säumen wie eine Typenschau sozialistischer Kleinwagenfertigung. Unordnung herrscht in der Werkstatt, sie ist vollgestopft mit Werkzeug, Ersatzteile für viele Automarken lagern in Kisten. An der Wand erinnert ein Plakat an die große Zeit der „Venstresocialisterne“, der linken Sozialisten, in Dänemark, Ende der siebziger Jahre.

Damals, 1978, war es auch gewesen, daß 82 Männer und Frauen gemeinsam das ehemalige herrschaftliche Gut Svanholm auf der Halbinsel Hornsherred auf Seeland kauften. 32,5 Millionen dänische Kronen kostete es, etwa 8,8 Millionen Mark. Geld, das den meisten Dänen in den Sand gesetzt schien. Denn eigentlich war die Zeit der Kollektive vorbei. Doch Svanholm existiert heute noch. Mehr: Es ist das größte Kollektiv Dänemarks und das wirtschaftlich erfolgreichste.

Mullin wischt sich die Hände am Overall ab und nimmt uns mit auf einen Rundgang durch das weiträumige Gelände. In der peinlich aufgeräumten Halle der Weinhandlung lagern Kartons aus Frankreich, Griechenland, Ungarn, Wein aus Simbabwe und von einer der letzten verbliebenen Kooperativen Portugals, „Alfredo Lima“. 100.000 Flaschen werden hier jährlich umgesetzt, zusätzlich lockt ein kurioses Sortiment an Alkoholika: eine Sammlung all dessen, was in den einst oder noch sozialistischen Ländern gepreßt, gekeltert und gebrannt wird. Rum „Havanna Club“, Flor de Cana aus Nicaragua, Wodka, Korn, Anis und Trester. Erinnerungen an eine Zeit, als sogar das Trinken frohen Mutes als Akt internationaler Solidarität ausgegeben werden konnte. Und es hat doch nicht geholfen.

„Was soll das“, meint Tom Mullin, „der Sozialismus geht doch nicht mit Gorbatschow unter oder auf. Sozialismus ist eine Sache, die du im Herzen hast.“ Und da er dabei so schön angriffslustig den Kopf senkt und wir gerade mit einem portugiesischen Bagazo anstoßen, soll ihm das Pathos verziehen sein.

Wir spazieren hinüber zum Kuhstall. 450 Hektar Land und 200 Hektar Wald bewirtschaften die 15 Mitglieder der Landwirtschaftsgruppe. Um 30 Kühe haben sie sich zu kümmern. Gerade wird ein neuer Stall für 60 Stück Vieh gebaut, 1,7 Millionen Kronen wird er kosten. Das alles erfahren wir von Bo, dem Vorarbeiter— nein, nicht Chef, den Titel mag man hier nicht sehr. Das geerntete Korn wird in einer eigenen Mühle in Ljungby gemahlen, das ökologisch angebaute Gemüse in einer leistungsfähigen Sortieranlage auf dem Anwesen verpackt. Zwiebeln, Möhren, Kartoffeln. Tausend Tonnen Kartoffeln wurden im letzten Jahr abgefüllt — in Beutel aus PCB- freiem Plastik, nachdem sich herausgestellt hatte, daß diese umweltverträglicher waren als die bis dahin verwandten Papiertüten. Eine Maschinenumstellung wurde daraufhin nötig, die gewaltig ins Geld ging. Svanholm ist heute der größte Produzent von Biogemüse in Dänemark und vermag die Preise anderer Biohöfe zu unterbieten — nicht zu deren Freude, versteht sich. Doch das erfahren wir erst später, nicht mehr von Bo, der sich mit ausgesuchter Höflichkeit von uns verabschiedet, weil er sich nun die Hände waschen müsse.

John Lennon — Opfer der Renovierung

Auf dem Weg zum Hauptgebäude kommen wir an einem von Pflanzen zugewachsenen Traktor mit einem großen Trichter vorn vorbei. Mullin strahlt. Es ist eine Schreddermaschine, in der Abfallholz aus dem Forst kleingehäckselt wird. Er und seine Kollegen haben sie selbst entworfen und gebaut. Sorgfältig streift er ein paar Schlingpflanzen vom Steuer, läßt sich auf den Sitz nieder, wischt über das Armaturenbrett. Mit den hier erzeugten Holzsplittern und mit dem Sägemehl aus der Tischlerei wird das gesamte Anwesen beheizt.

Die Tischlerei, soviel sehen wir später, ist in einem freundlichen, hellen Bau untergebracht und mit einem modernen Maschinenpark ausgerüstet. Sägen und Hobel arbeiten rechnergesteuert, eine Tischlerin ist angestellt, Kartoffelkisten, Paletten und Fenster werden dort hergestellt. Die Räume sind frisch gestrichen. Leider fiel auch das Gemälde von John Lennon, das einst die Wand zierte, der Renovierung zum Opfer. Eigentlich ein Sakrileg, findet Mullin. Aber der Fortschritt mache eben auch vor der Kunst nicht halt.

Siebzig Erwachsene und sechzig Kinder leben heute in Svanholm, um die zwanzig Gäste sind immer da. Die eine Hälfte des Kollektivs arbeitet außerhalb, in Skibby oder dem nahen Frederikssund in Firmen und Ämtern, die andere in den Wirtschaftsbetrieben von Svanholm. Alles Geld, das verdient wird, fließt in die gemeinsame Kasse. Die Svanholm-Buchhaltung erledigt selbst die Steuererklärung für die einzelnen.

Essen, Wohnung, medizinische Versorgung und Fahrtkosten zur Arbeit sind frei. Darüber hinaus erhält jede/r Erwachsene ein monatliches Taschengeld von 700 Kronen, ungefähr 190 Mark, Außenarbeiter etwas mehr, Leben „draußen“ ist teurer. Aber schließlich, hört man unterderhand, sind es auch die Außenarbeiter, die mit ihren regelmäßigen, fest einkalkulierbaren Einkommen das wirtschaftliche Überleben Svanholms sichern.

Wir erreichen das Haupthaus, ein schönes Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, ein Torbau mit zwei Flügeln, die einen kleinen gepflasterten Hof umschließen. 16 Quadratmeter Wohnraum stehen einem Erwachsenen zu, jedem Kind mindestens zehn sowie ein Platz im ganztags geöffneten Kindergarten. Eine Wohnung sehen wir uns an. Ein vollgestelltes, dunkles Zimmer, ein Hochbett, Nippes und Grünpflanzen, eine blasse junge Mutter, die gerade ihr Baby für einen Spaziergang anzieht. Stilleben mit Kind im Abendlicht. Ein Bild wie von Hamilton oder einem Plattencover von Leonard Cohen.

Der große Saal im Hauptgebäude steht unter Denkmalschutz. Er hat Parkettfußboden, Stuck an der Decke und große Fenster. Bilder und Webereien hängen an den Wänden, zwei der Bewohnerinnen Svanholms sind bekannte Künstlerinnen in Dänemark. Hier findet die wöchentliche Vollversammlung, „Fallesmoede“, statt. Auf ihr wird über alles entschieden, was Svanholm grundsätzlich angeht, sei dies der Kauf eines Lkws, die Erhöhung des Taschengeldes oder das gesamte jährliche Budget. Jedes Kollektivmitglied hat eine Stimme und Vetorecht, denn alle Entscheidungen müssen einstimmig gefällt werden. Ein Verfahren, das das Beschlüssefassen manchmal arg verzögert. — Auf dem Weg zur Großküche treffen wir Christina aus Berlin, eine der sechs Deutschen im Kollektiv. Sie wird, nach nunmehr fünf Jahren, aus Svanholm weggehen. „Sicher, man ist schon aufgehoben hier. Aber wer nicht richtig in der Verwaltung mitmischt, fühlt sich bald verwaltet. Zu viele Leute reden ins Privatleben hinein. Bestehen kann sowieso nur, wer mit einem ordentlichen ,Psychoüberschuß‘ ankommt.“

Zehn Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner verlassen Svanholm jährlich. Von den einstigen Gründern sind noch 20 da. Die Motive für das Ausscheiden sind unterschiedlich. Die einen klagen über Arbeitsüberlastung, andere entdecken irgendwann, daß sie das selbst erarbeitete Geld doch lieber nur für sich selbst ausgeben möchten. Wieder anderen ist das Durchschnittsalter im Kollektiv zu hoch: Die meisten sind zwischen 35 und 40 Jahren. Ein Generationswechsel tue dringend not, sagt Sabine, mit 27 die zweitjüngste im Kollektiv.

Atmosphäre wie beim Nachbarschaftstreffen

Die Küche ist eingerichtet wie die jeder Kantine. Aber sie ist nicht etwa gekachelt, gefliest und streng abgeschlossen, wie deutsche Großküchen gemeinhin zu sein haben, sondern hat Zementfußboden und ist vom Speisesaal lediglich durch einen Arbeitstisch getrennt. Mittag- und Abendessen wird hier für alle gekocht, fünf Leute erledigen das in zwei Schichten. Ob jemand seine Frikadellen aber mit den anderen Bewohnern zusammen im Speisesaal verzehrt oder sie lieber in die eigene Wohnung mitnimmt, bleibt ihr und ihm überlassen.

Heute abend liegt die Küche im Halbdunkel. Gegessen wird draußen, beim Richtfest des Kuhstalls. Es gibt Salat und Grünkernfrikadellen, aber auch Würstchen und Kartoffelsalat und Tuborg vom Faß. Frauen und Männer sitzen an langen Tischen, einer steigt auf ein Mäuerchen, hält eine Rede und lobt den, der die Bauleitung innehat. Kinder spielen und plärren überhaupt nicht dazwischen. Besucher werden gemustert, aber erregen kein Aufsehen. Eine Atmosphäre wie bei einem Nachbarschaftstreffen. Nichts anderes ist es schließlich.

So viele Bewohner, so viele Meinungen über Svanholm. Sabine kommt aus der Nähe von Stuttgart und arbeitet in der Küche. Sie steckt, nach der Erfahrung von zwei Jahren, noch immer voller Enthusiasmus: „Ich kann hier über mein Leben mitbestimmen, jede Meinung gilt, jeder kann ausreden. Das eigenartigste aber ist: Was entschieden wird, wird ausgeführt. Und das klappt. Ganz anders als früher, zu Hause im Jugendzentrum.“ Mike und Ines aus Dresden sind erst seit ein paar Monaten hier zu Gast. Mike hat zwei Jahre lang in einer LPG Landwirtschaft gelernt. „Die Strukturen sind nicht zu vergleichen. Dort waren alle Angestellte. Hier fesselt die freiwillige Gemeinschaftsökonomie ganz anders aneinander.“

In der Tat. Wer sich den Zwängen von Svanholm unterwirft, tut es freiwillig. Er hat einer „Kontaktgruppe“, die für Neuaufnahmen zuständig ist, seine finanzielle Situation offengelegt. Ist er verschuldet, sinken seine Chancen, aufgenommen zu werden. Besitzt er Geld, schießt er es ins Kollektiv ein, mit der Sicherheit, daß er es — neuerdings verzinst — zurückerhält, wenn er Svanholm verläßt.

Über seine Aufnahme entscheidet die Vollversammlung. Doch diese Vollversammlungen sind in letzter Zeit spärlich besucht. Immer mehr Bewohner überlassen die anstehenden Entscheidungen gern anderen. Für sie ist die Selbstverwaltung weniger bedeutsam als soziale Geborgenheit und die Sicherheit, die das Leben hier bietet. Vom einstigen Anspruch, Modell eines „alternativen Lebens“ zu sein, ist nicht mehr so laut die Rede. Der Alltag hat den sozialistischen Enthusiasmus gedämpft.

Eine Art Insel also, eine sich selbst genügende Idylle? „Ach was.“ Thomas Mullin, inmitten von Rennwagenreifen, Putzwolle und Schraubenschlüsseln, schüttelt ärgerlich den Kopf. „Wir versuchen einfach, uns mit einer anderen Lebensform inmitten einer kapitalistischen Gesellschaft zu behaupten, von deren Zwängen — Steuern, Preise, Angebot und Nachfrage — wir uns ja nicht einfach freimachen können. Ein Stück Freiheit im Alltag versuchen wir hinzukriegen, und ein Stück gegenseitiger Toleranz.“

An letzterem zumindest fehlt es nicht: Wo sonst kämen Biobauern auf die Idee, ohne Ansehen von Dezibel und Schadstoffausstoß einem Genossen Rennfahrer zuzujubeln?