Haiti: Zermürbungstaktik gegen Putschisten

Marionettenregierung unter internationalem Druck/ Militärs machen weiter Jagd auf Anhänger von Aristide  ■ Von Ralf Leonhard

Port-au-Prince (taz) — Die Putschisten in der Karibikrepublik Haiti bemühen sich, durch beschleunigte Normalisierung des politischen Lebens ihrer Marionettenregierung Legalität und Handlungsfähigkeit zu verschaffen.

Am Montag stellte der neue Ministerpräsident Jean-Jacques Honorat dem Rumpfparlament sein Kabinett vor: durchweg politische Leichtgewichte, die unter Duvalier oder während der nachfolgenden Militärregimes als Beamte Karriere gemacht hatten. Wichtige Posten, wie das Außen- und das Sozialministerium konnten mangels geeigneter Kandidaten noch gar nicht besetzt werden. Denn prominente Männer, auch solche, die den Putsch inzwischen öffentlich begrüßt haben, lehnten dankend ab. Die Sozialisten, deren Chef Serge Gilles einen direkten Draht zu Francois Mitterrand hat, die Sozialdemokraten und die Kommunisten verweigern jeden Kontakt mit dem Marionettenregime.

Ministerpräsident Honorat versprach Frieden und Gerechtigkeit und Verzicht auf Racheaktionen gegen Funktionäre der gestürzten Regierung. Gleichzeitig machen die Militärs jedoch noch immer Jagd auf die Anführer der Massenbewegungen und die engeren Mitarbeiter des Befreiungstheologen Jean-Bertrand Aristide. Angebliche Pläne, wonach die Patrouillen mit Brandbomben attackiert werden sollen, dienen ihnen dafür als Vorwand.

Am Tage fliehen die Bewohner der Hauptstadt scharenweise aufs Land, um bei Verwandten Unterschlupf zu suchen. Haiti Trans Air, die einzige Fluggesellschaft, die ihre Linienflüge wieder aufgenommen hat, nimmt keine Reservierungen entgegen. Zu Dutzenden übernachten die Leute auf dem Flughafen, um einen Platz nach Miami zu ergattern.

In der Provinz ist die Armee weniger präsent. Dort sind es die Killerbanden der ehemaligen Tonton Macoutes, die sich wieder organisieren und mit den Aktivisten der Lavalas- Bewegung Aristides abrechnen. Im zentralen Hochplateau wurde der Sitz einer regionalen Bauernbewegung kurz und klein geschlagen, alles Kleinvieh und Inventar geplündert. Aus Gonaives, 120 km nördlich von Port-au-Prince, hört man von Gewalttaten gegen Lavalas-Leute. Die meisten prominenten Aktivisten sind untergetaucht oder nehmen den Schutz einer Botschaft in Anspruch.

Ein für Montag von Widerstandsgruppen vorgesehener Generalstreik konnte nicht stattfinden. Denn seit die Rundfunkstationen militärisch zum Schweigen gebracht wurden, ist die Kommunikation völlig lahmgelegt. Der von den Militärs kontrollierte Sender „Radio National“ und das Fernsehen bringen seichte Unterhaltung und offizielle Verlautbarungen der provisorischen Regierung. So wird man bereits mit der neuen Sprachregelung vertraut gemacht: die blutigen Ereignisse des 29. September waren kein Putsch, sondern eine „rectification“ und das jetztige Regime nennt sich „funktionelle Demokratie“.

Die OAS und die EG rücken derweil nicht von der Forderung nach bedingungsloser Wiedereinsetzung des verfassungsmäßigen Präsidenten ab. Auch das Handelsembargo ist weiterhin in Kraft. Deshalb sind die Diplomaten in Port-au-Prince zuversichtlich, daß die Putschisten über kurz oder lang nachgeben müssen. Auch die Mitarbeiter Aristides scheinen auf die langsame Zermürbung zu setzen. Denn es gibt keinen Aufruf zum aktiven Widerstand und keine bewaffneten Aktionen.