Özals „Mutterlandspartei“ am Ende?

Bei den morgigen Parlamentswahlen in der Türkei rechnet die Opposition mit einem Sieg/ Koalitionsregierung im Gespräch  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Das Ende der Biene ist nahe“ versprach Süleyman Demirel, Vorsitzender der „Partei des rechten Weges“ unter dem Beifall von Parteianhängern. Die Biene ist das Parteiemblem der regierenden Mutterlandspartei, die seit dem Abtritt der Militärs 1983 allein regiert. Korruption und Machtmißbrauch in der Nach- Putsch-Ära sind die Wahlkampfthemen der Opposition.

Demirels Verheißung könnte am morgigen Wahlsonntag schon Wirklichkeit werden. Die Demoskopen sagen voraus, daß die Regierungspartei erhebliche Stimmenverluste hinnehmen muß und nur drittstärkste Partei werden wird. Selbst die Änderung des Wahlgesetzes und von Wahlbezirken im unmittelbaren Vorfeld der Wahlen wird den Niedergang der Regierungspartei nicht aufhalten können.

Demirels Partei des rechten Weges und der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ des Physikprofessors Erdal Inönü werden die besseren Chancen eingeräumt. Die Wahlen könnten das Ende der Ära Turgut Özal einleiten. Nach dem Ende der Militärdiktatur wurde Özal mit seiner Mutterlandspartei zum starken Mann in Ankara und regierte autokratisch das Land. Auch nach 1989, nach seiner umstrittenen Wahl zum Staatspräsidenten, ließ Özal es sich nicht nehmen, die wichtigen politischen Entscheidungen zu treffen. Die Politik der Türkei während des Golfkrieges zum Beispiel wurde von Özal allein bestimmt — an Parlament und Regierung vorbei.

„Ich bleibe bis 1996 im Amt“ verkündet Özal selbstbewußt. Doch die Wahlen tragen bereits den Charakter einer Volksabstimmung. Demirel wie Inönü haben angekündigt, daß nach der Wahl die Abwahl des Staatspräsidenten per Verfassungsänderung auf der Tagesordnung steht. Der Umstand, daß die Regierungspartei ihre Wahlpropaganda auf den jungen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz konzentriert (Wahlkampfspot: „Du bist der Größte“) wird kaum etwas daran ändern können, daß der Unmut über die Ära Özal sich in Wahlstimmen niederschlagen wird. Doch höchstwahrscheinlich wird keine Partei die absolute Mehrheit in der 450köpfigen Nationalversammlung erringen können. Koalitionen sind angesagt.

Geschickt griffen die Oppositionsparteien in ihrer Wahlpropaganda auch Menschenrechtsverletzungen auf. So verspricht ein Wahlkampfplakat des konservativen Demirel „gläserne Polizeiwachen“. „Wir werden die Folterer zur Rechenschaft ziehen“ kündigt die Sozialdemokratische Volkspartei an.

Ohnehin verspricht Demirel das Blaue vom Himmel: „Zwei Schlüssel für jeden Bürger. Einen für das Eigenheim, einen für das Auto“. Die bekannten türkischen Popstars dröhnen auf den Straßen und Plätzen von den Wahlkampfbussen der Parteien. Doch viele sind offensichtlich den ungeheuren Krach mittlerweile leid. Gerade ein paar tausend Menschen bringen Spitzenpolitiker in den letzten Tagen auf die Beine.

Einzige Ausnahme ist vielleicht die fundamentalistische „Wohlfahrtspartei“ von Necmettin Erbakan. Es gilt als sicher, daß die Partei die Zehnprozenthürde schafft und ins türkische Parlament einzieht. Die Wohlfahrtspartei schaffte es im Wahlkampf, sich als Protestpartei gegen das herrschende Regime zu präsentieren und dürfte mehr Stimmen erhalten, als das Potential an islamisch-fundamentalistischen Wählern eigentlich zuläßt. Zeichnungen von Folterkammern und hungernde Menschen zeigen ihre Wahlkampfspots im Fernsehen. Der zum Islam konvertierte Cat Stevens zog als Yusuf Islam durch die Lande um für die Partei zu werben.