: „Volle Normalisierung“ zwischen Israel und UdSSR
Israel und die Sowjetunion verkünden Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen/ Normalisierung im Vorfeld der geplanten Nahost-Konferenz, die unter gemeinsamer Schirmherrschaft der USA und UdSSR stattfinden soll ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Als die Sowjetunion im Zuge des Sechs-Tage-Krieges vom Juni 1967 alle Beziehungen mit Israel abbrach, hieß es allgemein, es werde wohl höchstens ein oder zwei Jahre dauern, bis die Botschafter wieder auf ihre Posten in den beiden Ländern zurückkehren. Tatsächlich mußte fast ein Vierteljahrhundert vergehen, um den status quo ante bellum wiederherzustellen. Gestern verkündeten die Außenminister beider Länder in Jerusalem die Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der UdSSR.
Mit der Einigung zwischen dem sowjetischen Außenminister Boris Pankin und seinem amerikanischen Kollegen James Baker über die Einberufung der Nahost-Konferenz wurden nun auch die Grundbedingungen sowohl der UdSSR als auch Israels für die diplomatische Normalisierung erfüllt: Moskau sieht die Konferenz als Beweis für den Friedenswillen des jüdischen Staates. Damit rechtfertigt es der arabischen Welt gegenüber den letzten Schritt zur formellen Normalisierung der Beziehungen zwischen Sowjetunion und Israel. Für die Schamir-Regierung gilt dies als sine qua non für Israels Anerkennung der sowjetischen Rolle als Kosponsor und Mitvorsitzender der geplanten Konferenz an der Seite der USA.
Das Ende der bipolaren Welt und des kalten Krieges beraubt Israel der Sonderstellung als stärkster Militärverbündeter der USA zum Schutz der Interessen der „freien Welt“ im Nahen Osten. Doch Israel paßt sich nur langsam und ohne Begeisterung an die veränderte Realität auch in dieser Weltgegend an. Andererseits eröffnen die veränderten Machtverhältnisse in der Welt vielversprechende nichtmilitärische Entwicklungsmöglichkeiten, die Israel nur dann voll nutzen kann, wenn es Beziehungen auch im Osten — bis nach China und Japan — und mit der Dritten Welt auf ganz neuer Basis aufbaut.
Die Normalisierung der Verhältnisse mit der UdSSR haben mehr symbolische als praktische Bedeutung. Die bilateralen Beziehungen haben sich in den letzten vier Jahren wirtschaftlich, wissenschaftlich, militärisch, politisch und kulturell so weit entwickelt, wie das nie zuvor der Fall war — auch nicht, als Israel in den ersten 20 jahren seiner staatlichen Existenz auf höchster Ebene mit Moskau verkehrte.
Die Hoffnungen, die die UdSSR zur Zeit der Gründung Israels in den neuen jüdischen Staat legte, erwiesen sich sehr bald als falsch. Israel war im Kalten Krieg nie neutral. Nach dem kläglich gescheiterten Sinai/Suez-Feldzug 1956 gegen Nassers Ägypten wurde Israels Abhängigkeit von den USA immer größer. Parallel dazu entwickelte sich die sowjetische Zusammenarbeit mit den arabischen Feinden Israels, die Moskau großzügig mit Waffen, Krediten und wirtschaftlichen Projekten unterstützte. In den kommenden Jahren wurde der Mittlere Osten zum Hauptabnehmer von Waffensystemen, die teuer mit Blut und Dollar (oder Schulden) bezahlt wurden.
Schon bald nach dem totalen Bruch im Sommer 1967 war wenigstens ein Teil der Moskauer Führung von dem Irrtum dieses Schrittes überzeugt. Nur kurzfristig konnte er das sowjetische Prestige bei den arabischen Völkern heben. Als der erzwungene Rückzug der Sowjetunion aus dem arabischen Bereich bald danach einsetzte, hatte die UdSSR weder Grundlage noch Rechtfertigung für die Erneuerung des Dialogs mit Israel. Die Bedingungen Moskaus für die Wiederherstellung der Beziehungen — eine gerechte, friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts im Rahmen einer internationalen Konferenz unter der Ägide der UNO — wurdem vor allem durch die koordinierte Politik der Regierung Israels und der USA aus dem Bereich des Machbaren verbannt. Auf lange Zeit hin hatte die Sowjetunion den „Anschluß“ verloren zu einem kleinen, aber einflußreichen Staat und zu seiner Gesellschaft, die zu einem großen Teil aus osteuropäischen Einwanderern zusammengesetzt ist.
Eine seltene gemeinsame amerikanisch-sowjetische Erklärung (vom 1.Oktober 1977) zur Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz für den Mittleren Osten (unter Beteiligung der Palästinenser) wurde von Israel und Äygpten erfolgreich torpediert: es gab bereits Geheimabkommen für eine Separatlösung, bei Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten. Das daraus resultierende Camp David-Abkommen bedeutete auch eine Pax Americana, und isolierte einerseits die Palästinenser und andererseits die Sowjetunion noch vollkommener.
Erst ein verlorenes Jahrzehnt später, unter dem Einfluß Gorbatschows, erfolgten erste vorsichtige Sowjetinitiativen zur Anbahnung von Kontakten mit Israel. Ein neues realpolitisches „Comeback“ mit konstruktiven Lösungsversuchen für die verschiedenen Konfliktsituationen kollidierte nicht mehr mit den Vormachtsinteressen der USA. Die UdSSR erschien erneut im Nahen Osten, aber diesmal als „troubleshooter“ zugunsten der Stabilisierung einer noch immer kriegsbereiten Region und als potentieller Juniorpartner in einem Gespann mit Washington.
Volle Konsularbeziehungen zwischen Moskau und Jerusalem wurden schließlich am 30.September 1990 aufgenommen. Als sich der Minister für Bauwesen, Ariel Scharon, zu Gesprächen mit den Bürgermeistern von Moskau und (damals noch) Leningrad kurz zuvor in der UdSSR aufhielt, versprach er in der großen Synagoge der Hauptstadt jüdischen Auswanderern, die inzwischen in Massen nach Israel strömten, daß dort genügend Wohnungen für sie bereitstehen werden. Bis Monatsende werden im laufenden Jahr nahezu 150.000 Juden aus der Sowjetunion nach Israel übergesiedelt sein.
Damit nähert sich die Gesamtzahl der in den vergangenen drei Jahren aus der Sowjetunion nach Israel emigrierten Juden bald einer halben Million und trägt so zu einer von Israels Regierung eifrig geförderten demographischen Verschiebung bei, an die politische Forderungen geknüpft werden.
Darüberhinaus heißt es gerade bei Leuten aus dem rechtsradikalen Lager in Israel, die Normalisierung mit der Sowjetunion biete einen „Unterschlupf für trübe Tage “ — für den Fall einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA im Laufe der weiteren Entwicklungen im Nahen Osten.
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