Vertreibung unter EG-Aufsicht

Armee befiehlt die Evakuierung — EG-Beobachter leisten Organisationshilfe/ Neuer Friedensplan  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) — Seit gestern ist Ilok eine Geisterstadt. Auf Anordnung des fünften jugoslawischen Militärbezirks vom Donnerstag mußten innerhalb von zwölf Stunden alle 8.000 Einwohner des ostslawonischen Städtchens ihre Habseligkeiten zusammenpacken und ihre Häuser verlassen. Bis auf weiteres ist die Rückkehr den Einwohner unter Strafandrohung verboten, so der Befehl, der von General Raseta unterschrieben wurde. Um die Zwangsaussiedlung „korrekt“ abwickeln zu können, bat die Armeespitze um EG-Beobachter.

Diese überwachten dann tatsächlich vor Ort die „Formalitäten“, ohne gegen die gewaltsame Aktion als solche zu protestieren. Nach dem Belgrader Fernsehen soll die EG- Kommission für Ostslawonien diese „vorbeugende Maßnahme“ gebilligt haben, da es für die Zivilbevölkerung besser sei, evakuiert, als in Kämpfe verwickelt zu werden. In diesem Zusammenhang scheuten sich die elektronischen Medien Belgrads nicht, Bilder vom Flüchtlingstreck der kroatischen und ungarischen Einwohner Iloks zu zeigen. Die ärmsten der Einwohner, die nicht über ein eigenes Auto oder landwirtschaftliches Fuhrgerät verfügten, stiegen auf die Ladefläche von Lastwagen, um so der Vertreibung Folge zu leisten.

Denn anders kann diese Aktion nicht bezeichnet werden. Zu einer vorbeugenden „Evakuierung“ bestand nämlich kein Anlaß. In Ilok toben keine Kämpfe zwischen kroatischen Nationalgardisten und serbischen Freischärlern. Das Städtchen, östlich der seit Wochen umkämpften Industriestadt Vukovar gelegen, ist einzig für den Armeenachschub von strategischer Bedeutung. Über die Straße Ilok — Vukovar rollen seit Tagen die Panzer aus der Republik Serbien ins kroatische Kampfgebiet.

Glaubt man Radio Zagreb, so will die Bundesarmee die Entscheidungsschlacht von Vukovar gewinnen, noch während in Den Haag eine neue Waffenpause beschlossen wird. Ostslawonien will die Armee, dem Sender zufolge, als Faustpfand bei Verhandlungen über eine künftige Friedensordnung einsetzen. Denn was sonst soll die Armee letztlich mit eingenommenen, verwüsteten Ortschaften anfangen, mit verminten Landstrichen, mit Gräberfeldern und menschenleeren Dörfern?

Lord Carringtons neuer Vorstoß

Auf dem Schauplatz fehlgeschlagener Waffenstillstandsabkommen und hoffnungsloser Friedensaktivitäten, Den Haag, hat der Vorsitzende der EG-Friedenskonferenz für Jugoslawien, Lord Carrington, die Bildung einer „freien Vereinigung souveräner und unabhängiger Republiken“ vorgeschlagen. Innerhalb dieser Vereinigung sollen vor allem der serbischen Minderheit in Kroatien weitreichende Autonomierechte eingeräumt werden. In dem am Freitag in Den Haag veröffentlichten Papier heißt es, Volksgruppen, die in bestimmten Gebieten die Mehrheit stellen, sollen das Recht auf ein eigenes Parlament, eigene Verwaltungsstrukturen mit Polizeikräften und eine eigene Gerichtsbarkeit erhalten. Dies gelte in besonderer Weise für die Serben in Kroatien.

Jede Republik soll dem Entwurf zufolge selbständig entscheiden können, welche Streitkräfte sie auf ihrem Territorium dulden will. Zu sicherheits- und außenpolitischen Fragen sollen die Republiken sich „in Bereichen von gemeinsamem Interesse“ beraten. Zu diesem Zweck soll ein „Kooperationsrat für Politik und Sicherheit“ aus den Außenministern der Teilrepubliken gebildet werden, der monatlich zusammentritt. Der Vorsitz soll im sechsmonatigen Wechsel von den Außenministern übernommen werden. Zwischen den „souveränen und unabhängigen Republiken“ soll ferner eine Zollunion und ein gemeinsamer Markt eingerichtet werden. Außerdem sollen die Prinzipien der Menschenrechte, der Vereinten Nationen und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) anerkannt werden. Serbien hat das Papier prompt abgelehnt. Es wiederholte seine Linie, wonach „die serbische Minderheit unter keinen Umständen in einem kroatischen Staat leben“ möchte.