Wenn wir nicht handeln, überholen uns die Bürger

Bundesumweltminister Klaus Töpfer setzt auf die Unterstützung der EG-Kommission bei Klimapolitik und Tempolimit  ■ INTERVIEW VON GERD ROSENKRANZ UND HERMANN-JOSEF TENHAGEN

taz: Herr Töpfer, stellen Sie sich einen Moment lang vor, Sie wären Umweltminister unter einem Bundeskanzler Joschka Fischer. Was, glauben Sie, würde sich an Ihrer Arbeit ändern?

Klaus Töpfer: Wissen Sie, man sollte das Irrationale nicht auch noch in Utopien konkret werden lassen. Ich arbeite seit viereinhalb Jahren unter einem erfolgreichen Bundeskanzler und hoffe, daß das noch lange so bleibt.

Sie sind Umweltminister in einem konservativ-liberalen Kabinett. In einer sozial-ökologischen Regierung wären viele Ihrer umweltpolitischen Vorstellungen praktisch geltendes Programm der beteiligten Parteien. Das würde doch Ihre Aufgabe entscheidend erleichtern?

Ich gehöre nicht einem konservativ-liberalen, sondern einem christlich-liberalen Kabinett an. In einer christlichen Partei ist die Erhaltung der Schöpfung ein Grundpfeiler der Programmatik, auf der diese Partei aufbauen muß. Deshalb bin ich überhaupt nicht der Meinung, daß in einem sozial-ökologischen Kabinett die Grundvoraussetzungen besser wären. Ganz im Gegenteil. Ich sehe ja an vielen Stellen, bis hin zur Frage, wie wir mit ungeborenem menschlichem Leben umgehen, eine Verpflichtung zur Lebenserhaltung, die aus dem christlich-konservativen Grundverständnis sehr wohl beantwortet werden kann. Es ist eine völlige Verkürzung, wenn man meint, daß sich eine christlich-konservative Partei mehr oder weniger als hedonistische Wirtschaftspartei gebärdet. Wir haben die Marktwirtschaft sozial gezügelt und sind dabei, sie auch ökologisch zu zügeln.

Das ändert nichts daran, daß Sie auf dem Feld der Umweltpolitik bei Ihren vernünftigen Vorschlägen — nehmen Sie die Klimapolitik, die Verkehrspolitik, den Naturschutz oder die Müllpolitik — stets erhebliche Probleme haben, sich in dieser Koalition durchzusetzen. Deshalb kritisieren Ihre politischen Gegner selten Ihre Ankündigungen, aber umso häufiger die Umsetzungsdefizite.

Das liegt dann an den Informationsdefiziten meiner politischen Gegner. Wir machen nicht nur Vorschläge, sondern wir setzen sie auch um. Wenn Sie die Müllpolitik ansprechen: Wir haben nicht nur über die Verpackungsverordnung geredet, sondern wir haben sie auch durchgesetzt. Daß dies ein Stück grundsätzlicher Veränderung der Marktwirtschaft bedeutet, wird Ihnen in Frankreich, England oder den USA jeder bestätigen. Das ist eine revolutionäre Weiterentwicklung der Marktwirtschaft. Ich zieh mir den Schuh nicht an, wir würden etwas Gutes immer nur ankündigen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man am Anfang einer Legislaturperiode sagt, was ist jetzt zu tun. Alles was ich mache, von der Abfallabgabe über die CO2-Abgabe bis zur allgemeinen Weiterentwicklung der Abfallrechts, steht expressis verbis in der Koalitionsvereinbarung und wird in diesen vier Jahren umgesetzt.

Nehmen wir die Verkehrspolitik. In einem Interview mit dieser Zeitung zum Beginn der letzten Legislaturperiode haben Sie angekündigt, Straßen und Autobahnen zugunsten der Schiene vom Schwerverkehr zu entlasten. Das Gegenteil ist geschehen und zwar nicht erst seit der Vereinigung.

Wir sind im Bereich der Nahverkehrskonzepte, angefangen bei den Ballungsräumen, ein nicht unerhebliches Stück des Wegs vorangekommen. Wenn Sie sich heute den Verkehrsverbund in München, in der Rhein-Main-Region oder im Rhein- Ruhr-Ballungsgebiet ansehen, dann ist das sicherlich ein Fortschritt. Richtig ist, daß sich die Verkehrsströme in Europa schneller entwickelt haben, als mit der Umstrukturierung reagiert werden konnte. Deshalb begrüße ich es außerordentlich, daß der Kollege Krause die Sanierung und Neustrukturierung der Bundesbahn jetzt zu seinem zentralen Ziel macht und da unternehmerische Qualität einfordert. Aber zugegeben: Die Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist nicht in dem Maße vorangekommen, wie der Anstieg des Verkehrs sich entwickelt hat.

Es glaubt momentan niemand mehr daran, daß im Verkehrsbereich die propagierten ökologischen Ziele auch nur annähernd erreicht werden können. Was schlagen Sie vor?

Wir haben unsere Umweltpolitik in der Vergangenheit sehr stark auf die Umsetzung von Anforderungen an das Auto selbst konzentriert. Der Drei-Wege-Katalysator ist voll durchgesetzt, da nehmen wir in der EG eindeutig den Spitzenplatz ein. Diesen Weg werden wir weitergehen. Aber ich gebe zu, wir müssen in zwei Richtungen mehr machen. Einmal müssen wir den Verbrauch in den Griff bekommen. Denn wir werden unser CO2-Ziel von 25 bis 30 Prozent Minderung bis zum Jahr 2005 nicht erreichen, wenn es nicht gelingt Autos herzustellen, die wesentlich weniger Benzin verbrauchen, als die jetzige Automobilflotte. Zum anderen müssen wir alles daran setzten, um unnötigen Verkehr und unnötige Belastungen abzubauen. Ein Umweltpolitiker ist immer gefordert, nicht nur einen gegebenen Bedarf optimal zu befriedigen, sondern er muß auch immer fragen, was ist der Bedarf, und wie kann man unnötigen Verkehr vermeiden. Das gilt genauso im Bereich des Energieverbrauchs.

Können Sie sich Fahrverbote in den Städten vorstellen?

Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß nur noch Autos in die Stadt fahren dürfen, die dort einen Parkplatz nachweisen können. Eine Untersuchung über München sagt mir, daß bis zu 70 Prozent des innerstädtischen Verkehrs Parkplatzsuchverkehr ist. Das bedeutet weder Lustgewinn noch Wohlstandssteigerung, sondern eine Fehlorganisation. Das ist dann, wenn Sie so wollen, für die, die keinen Parkplatz haben, ein Fahrverbot. Andere überlegen, ob man den innerstädtischen Verkehr mit zusätzlichen Kosten, also etwa erheblich höheren Parkgebühren, belasten soll.

Kommen für Sie auch Innenstadtsperrungen, beispielsweise wegen überhöhter Stickoxidbelastungen, in Frage?

Selbstverständlich. Wir haben ja bereits einen entsprechenenden Verordnungsentwurf nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz vorgelegt. Der geht jetzt an die Bundesländer. Da stehen nicht nur Grenzwerte für Stickoxide drin, sondern erstmals auch für Benzol und Partikel. Das sind sehr weitreichende Entscheidungen, und ich bin gespannt, wie die Länder reagieren werden. Nach dem Entwurf können die Straßenverkehrsbehörden den Verkehr in Belastungssituationen vermindern oder in Bereichen ganz stilllegen.

Was halten Sie von dem Vorschlag, der unter anderem von der Landesregierung in Stuttgart diskutiert wurde, Autos in den Städten nur noch dann zuzulassen, wenn der Halter gleichzeitig eine „Umweltkarte“ für den öffentlichen Personenverkehr vorweisen kann?

Wir können und wollen da gar nichts im regionalen Bereich vorschreiben, sondern wir wollen nur die Möglichkeiten schaffen, daß die Kommunen so reagieren können, wie sie es für richtig halten. Sicher ist, wenn wir nicht handeln, werden wir früher oder später von den Bürgern in ihren Erwartungen überholt. Die jüngste Diskussion in Hamburg nach dem tragischen Tod des Mädchens Nicola belegt doch schon, daß die Bürger sagen, wir wollen, daß die Stadt lebenswert bleibt.

Faktisch ist eine Initiative für flächendeckende Tempolimits — und da ging es auch um Tempo 30 in den Städten — gerade wieder einmal im Bundesrat am Widerstand der unionsregierten Länder gescheitert. Wir würden wirklich gern den Unterschied wissen zwischen einem „Tempolimit“ und einer „allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung“, für die Sie sich kürzlich ausgesprochen haben.

Die Initiative im Bundesrat hat, wie Sie wissen, nicht wegen der CDU-Länder keine Mehrheit gefunden. Es ist auch mit SPD-regierten Ländern nicht machbar gewesen. Aber davon abgesehen ist es für mich wichtig, daß jede Stadt Tempo-30- Zonen einrichten kann. Diese Forderung haben wir durchbekommen...

...In Berlin werden diese Zonen gerade von Ihrem Parteifreund und Verkehrssenator Herwig Haase im Dutzend wieder aufgelöst...

...Ich wiederhole, wir haben die Möglichkeiten geschaffen. Warum sollte ein Bundesminister die örtlichen Situationen besser beurteilen können als die Verkehrspolitiker vor Ort. Wir sollten die kommunale Selbstverwaltung auch ernst nehmen, wenn es darum geht zu entscheiden, hier können wir sinnvoll Tempo 50 zulassen, und hier, wo Wohngebiete oder Gefahrenstellen sind, muß man 30 fahren.

Wenn die CDU im Bundesrat geschlossen gegen Tempo 30 in Ortschaften stimmt, dann hat das doch auch eine Signalwirkung.

Nein, das ist Ausdruck der Tatsache, daß wir mit der in der Vergangenheit eingeübten Praxis vonTempo 50 in Ortschaften insgesamt eine vernünftige Antwort auf die Probleme der Städte gefunden haben. Und nun müssen wir eben die Öffnung zu mehr Tempo 30 haben wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens. Aber wir können die Probleme weiter mit 50 generell und 30 als Ausnahme besser regeln als mit 30 generell und 50 als Ausnahme.

Symbolgeladen ist in jedem Fall die inzwischen bald zwanzig Jahre dauernde Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen, obwohl sie angesichts der Dimension der Gesamtproblematik vielleicht nur zweitrangig ist. Warum wird das nicht endlich mit einer klaren Entscheidung abgeschlossen: Das bringt ökologisch was, das rettet Menschenleben, das kostet nichts. Irgendwann kommt das doch ohnehin.

Zunächst, es wäre in der Tat fatal, wenn der Eindruck entstünde als wären die Probleme bewältigt, wenn wir auch noch auf den letzten zwei Prozent aller Straßen in Deutschland Geschwindigkeitsbegrenzungen hätten. Das ist wirklich eine die verkehrlichen Umweltbelastungen nicht entscheidend verändernde Größe. Aber es hat natürlich auch mit Umweltfragen zu tun. Deshalb machen wir jetzt noch einmal mit Umweltbundesamt und TÜV Messungen über das Verhalten von Kat- Fahrzeugen bei Geschwindigkeiten über 130. Wir wollen wissen, ob sich der Verdacht erhärten läßt, daß dann die Schadstoffemission stark ansteigt. Aber es ist nicht nur eine Frage an den Umweltministers, sondern auch an den Verkehrsminister...

...Der Umweltminister hat aber großes, vielleicht entscheidendes Gewicht...

Ich habe meine Position, glaube ich, sehr klar gemacht. Erstens müssen wir eine höhere Befolgungsrate bei den bestehenden Geschwindigkeitsbegrenzungen bekommen. Wir müssen zweitens alles tun, um den Verkehrsfluß zu verstetigen. Das hat auch etwas mit Luftbelastung und Ressourcenverzehr zu tun. Und ich bin drittens der Meinung, daß wir auch bei den Autobahnen, die bisher nicht geschwindigkeitsbegrenzt sind, weiterreichende Geschwindigkeitsbegrenzungen bekommen müssen.

Nochmal: Warum sagen Sie dann nicht einfach Tempolimit?

Weil ich immer noch der Meinung bin, daß wir wegen der verschiedenen Zielsetzungen flexibel bleiben müssen. Mit Tempolimit wird immer verbunden, daß alles über einen Strich gekämmt werden muß. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, daß es Teilstrecken gibt, wo man...

...180 fahren soll?

Nein, das will ich eben gerade nicht, sondern ich kann nicht ausschließen, daß es auch unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit und des fließenden Verkehrs möglich sein muß, auch mal 140 fahren zu können. Ich will meine Argumente nicht auf Glaubenssätzen aufbauen, sondern auf Fakten. Natürlich kommt hinzu, daß wir von der EG- Kommission zum Glück jetzt ein CO2-Konzept vorgelegt bekommen haben, das fast deckungsgleich ist mit dem Konzept, das die Bundesregierung hier im letzten Jahr verabschiedet hat — mit einer Ausnahme: Die EG schlägt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 Stundenkilometern vor. Damit werden wir uns sehr intensiv auseinandersetzen müssen. Dafür sprechen auch viele Umweltargumente.

Sie haben im November des vergangenen Jahres im Kabinett beschlossen, die deutschen CO2- Emissionen bis 2005 um 25 bis 30 Prozent zu reduzieren. Die Verkehrsentwicklung ist aber gerade gegenläufig. Wäre es in dieser Situation nicht wichtig im Verkehr Zeichen zu setzen?

Das ist sicher richtig. Aber wir müssen überall tätig werden, wo fossile Brennstoffe verfeuert werden, überall wo CO2 frei wird. Das fängt bei den Kraftwerken an, betrifft den Verkehr und betrifft auch die Hausheizungen.

Hätten Sie gern mehr Einfluß auf die Energiewirtschaft und Energiepolitik?

Ich glaube, daß der Umweltminister immer in der Situation ist, daß er mitreden muß. Wir sind nun mal ein Querschnittsministerium: Energie und Umwelt, Verkehr und Umwelt, Landwirtschaft und Umwelt.

Innerhalb Ihres Kabinetts ist es besonders schwierig die Energiepolitik und die Umweltpolitik zusammenzubringen.

Das glaube ich nicht. Den Beschluß CO2 um 25 Prozent zu reduzieren hat doch nicht der Umweltminister gefaßt. Das gesamte CO2- Konzept ist im November 1990 vom Kabinett beschlossen worden. Und die Maßnahmen, insbesondere die CO2-Abgabe, hat dann die ganze Koalition ausweislich der Koalitionsvereinbarung für richtig empfunden.

Das müssen Sie denen aber mal sagen.

Ich habe noch niemand gehört, der bezweifelt, daß das in der Koalitionsvereinbarung steht. Ich bin doch kein Einzelgänger, ich bin in der Kabinettsdisziplin auf das ausgerichtet, was wir uns vorgenommen haben. Wir können nicht bei der Einigkeit im Ziel stehenbleiben.

Das Kabinett hat vor einem Jahr die „schrittweise Verwirklichung“ des CO2-Ziels angekündigt. Im Grunde ist der erste Schritt noch nicht getan.

Aber selbstverständlich. Es sind schon mehrere getan. Sehen Sie, das jetzt vereinte Deutschland verbrannte 1989 noch etwa 400 Millionen Tonnen Braunkohle, etwa 320 Millionen Tonnen im Osten und 80 Millionen Tonnen im Westen. Wenn wir gegenwärtig auf 200 Millionen Tonnen kommen, liegen wir an der oberen Ecke.

Das ist eine Folge des industriellen Zusammenbruchs im Osten.

Sicherlich auch. Wollten Sie denn die Karbidöfen in Buna weiterlaufen lassen?

Der Braunkohlekonzern Rheinbraun sagt Ihnen, ist doch prima, wir halbieren die Förderung in den fünf neuen Länden, im Westen verändern wir nichts.

Zunächst einmal bleibt festzuhalten, daß wir im vereinten Deutschland 25 bis 30 Prozent CO2 reduzieren müssen. Und das bedeutet, wir werden auf Dauer nicht mehr als diese 200 Millionen Tonnen Braunkohle verbrennen. Wenn wir in der ehemaligen DDR die Einzelfeuerungsanlagen in den Wohnhäusern auf Gas umstellen, bringt allein der CO2-spezifische Unterschied zwischen beiden Brennstoffen jedes Mal eine Einsparung von 60 Prozent.

Zweitens: Die Umstrukturierung der Energiewirtschaft in den fünf neuen Ländern fällt doch nicht wie Manna vom Himmel. Dafür wird massiv investiert. Wenn wir das nicht machen, werden wir keine neuen wirtschaftlichen Impulse in den neuen Bundesländern haben. Mit den Investitionen erhöhen wir den Wirkungsgrad, besonders bei Kohlekraftwerken.

Drittens haben wir heute ständig die Diskussion über die heimische Steinkohle. Es ist keine Widerspruch zur CO2-Minderung, wenn ich zum Jahrhundertvertrag und einer Anschlußlösung stehe. Die Alternative wäre Importkohle. Beide unterscheiden sich zwar im Preis, aber nicht in der CO2-Belastung.

Und viertens praktizieren wir eine massive Förderung der regenerativen Energiequellen.

Aber diese Förderung ist doch keine Konsequenz aus dem CO2-Beschluß. Das Budget lag doch im November schon fest.

Es geht hier vor allem um die Einspeisungsvergütungsgesetze für Strom, die seit Januar 1991 in Kraft ist: Derjenige, der Windenergie oder Solarenergie einspeist, bekommt heute 90 Prozent des Durchschnittspreises der Stromunternehmen.

Finden wir ja wunderbar, aber die Verordnung war im November auch schon beschlossen.

Irgendwann müssen wir ja mal angefangen haben. Die Verordnung bewirkt doch nichts anderes als eine CO2-Minderungsförderung. Auch an dieser Stelle, wenn ich das so unbescheiden sagen darf, sind wir an der Spitze in Europa. Ordnungspolitisch sind wir gegenwärtig dabei, die Anforderungen an die Einzelfeuerung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu verbessern. Ich bekomme böse Protestbriefe aus der Industrie, weil wir die über die Wärmenutzungsverordnung zur effektiveren Nutzung ihrer Abwärme veranlassen wollen.

Eine Säule Ihres Konzepts ist die Steigerung der Energiepreise: CO2- Abgabe oder Energiesteuern. Alle Fachleute und alle Politiker sagen, die Energiepreise sagen nicht die ökologische Wahrheit. Warum wollen Sie mit einer CO2-Abgabe nur die fossilen Energieträger belasten?

Weil ich der festen Überzeugung bin, daß der Umweltminister sich mit ökologischen Instrumenten, und dazu gehört auch die Möglichkeit finanzieller Anreize, ausrüsten muß. Gleichzeitig sollen die Verursacher Anreize haben, CO2 nicht in die Luft zu blasen. Die EG-Kommission hat jetzt einstimmig ein etwas anderes Konzept vorgelegt. Sie schlägt eine 50:50 Regelung vor: 50 Prozent allgemeine Energiebesteuerung, und die andere Hälfte als CO2-Anteil. Das ist aber keine Abgabe, sondern eine Steuer, und das eingenommene Geld wird nicht mehr allein umweltpolitisch ausgegeben werden. Eine solche Steuer geht in den allgemeinen Haushalt ein. Ich bin nicht so sicher, was umweltpolitisch das sinnvollere ist, eine gezielte Abgabenregelung, die an dem Faktor ansetzt, den ich runterbekommen will, oder eine allgemeine Energiesteuererhöhung, die Substitutionsvorgänge, wenn überhaupt nur sehr langsam entstehen läßt.

Sie können ja nicht von heute auf morgen mit dem großen Steuerknüppel zuschlagen. Der Vorschlag der Kommission setzt deshalb auf schrittweises Vorgehen. Die Kommission fängt mit zehn Mark pro Tonne CO2 an und erhöht dann jährlich um einen Dollar. Schließlich kommt sie auf 36 Mark pro Tonne. Aber ich warne vor Illusionen: Alle, die glauben, sie bekommen über Preiserhöhungen die absolute Verminderung der Energienachfrage, gehen doch von utopischen Preissteigerungen aus. Die Berechnungen, die mir vorliegen, lassen generell nicht erwarten, daß wir bei den angekündigten Preiserhöhungen signifikante Energiespareffekte haben.

Vor einigen Wochen gab es einen öffentlich ausgetragenen Streit mit Mitgliedern Ihrer eigenen Bundestagsfraktion und der FDP um die CO2-Abgabe. Die Gegner haben argumentiert, daß nach den 25 Pfennig Mineralölsteuererhöhung Ende der Fahnenstange ist. Haben Sie den Eindruck, daß Sie sich im Herbst durchsetzen können?

Es ist gar keine Frage, daß die Vorlage der EG-Kommission das Vorhaben vorangebracht hat. Zwar kann es Verzögerungen geben, weil in der EG ein etwas anderes Steuerkonzept verfolgt wird. In Diskussionen darauf hinweisen zu können, daß die Notwendigkeit für Verteuerungen auch von der EG-Kommission so gesehen wird und daß wir diese zusätzlichen Preisanreize fürs CO2- Konzept unbedingt brauchen, hilft andererseits natürlich. Ich fühle mich eher gestärkt als geschwächt. Ich kann auch nicht beklagen, daß es besorgte Anfragen gibt, ob man in der aktuellen wirtschaftlichen Situation zusätzliche Belastungen einführen muß. Aber diese Entscheidung haben wir in der Koalitionsvereinbarung getroffen.

Sie haben vor drei Jahren gesagt: „Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden.“ Glauben Sie, daß Sie durch die Belastung der fossilen Brennstoffe und die Nichtbelastung der Atomkraft die „Erfinder“ beflügeln?

Dieser Schuh paßt nun absolut nicht. Als wir die Großfeuerungsanlagenverordnung beschlossen haben, um damit SO2- und NOX-Emissionen zu drosseln, hätte man dann genauso sagen müssen, diese Verordnung dient der Förderung der Kernenergie. Doch alle sind der Meinung gewesen, daß es gut und sinnvoll gewesen ist, daß wir Schwefel- und Stickoxide gedrosselt haben. Das hat uns 25 Milliarden Mark gekostet. Die Kernenergie ist dadurch nicht gefördert worden. In all der Zeit wurde, wie jeder weiß, kein neues Kernkraftwerk genehmigt. Jeder Energieträger muß ökologischer werden.

Verbessert die geplante Atomgesetznovelle die Umweltverträglichkeit etwaiger neuer Akws? Ihr zuständiger Abteilungsleiter, Herr Hohlefelder, hat die Novelle vor einem halben Jahr explizit damit begründet, daß man Ausstiegsbestrebungen einzelner Bundesländer entgegentreten müsse.

Ich kenne diesen Ausspruch von Herrn Hohlefelder nicht. Ich sage Ihnen, das ist jedenfalls nicht meine Begründung.

Was ist denn Ihre Begründung?

Ich möchte das Förderprinzip für die Kernenergie abschaffen und ein modernes Sicherheitsgesetz für diese Technik machen. Die Entscheidung darüber, ob ein Kernkraftwerk beantragt wird, fällen immer die Betreiber. Und schließlich werden wir sehen, wie die SPD-Mehrheit im Bundesrat auf unseren Entwurf antwortet.

Die rechtlichen Möglichkeiten der Bundesländer in Genehmigungsverfahren einzugreifen, sollen aber eingeschränkt werden.

In gar keiner Weise werden die eingeschränkt. Es geht hier lediglich um die Frage, wie weit die Bündelungswirkung von Genehmigungsverfahren geht. Hier müssen Sie mich verstehen: Ich will doch nicht in die Situation kommen, daß ich mich nur noch mit Weisungen durchsetzen kann. Die wahren Probleme liegen ohnehin in Osteuropa. Es muß auch Ihnen einsichtig sein, daß wir zunächst alle Möglichkeiten nutzen, die Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, die wir heute für ein zusätzliches Risiko halten. Es kann doch niemand fordern, wenn wir aussteigen, dann fangen wir dort an, wo die sicheren Kraftwerke stehen. Wenn wir eine europäische Energiecharta erreichen, dann wollen wir alles daran setzen, die Kraftwerke vom Netz zu nehmen, die wir und die Internationale Atomenergiebehörde für unsicher halten. Wir wollen eine internationale, völkerrechtlich verbindliche Konvention zur Reaktorsicherheit, und die haben wir in Wien initiiert.

Themenwechsel: Sie sitzen auch im CDU-Vorstand. Im Frühjahr haben Sie mit Heiner Geißler zusammen gefordert, es müsse ein „geistiger Generationenwechsel“ und eine Öffnung des Denkens in der CDU stattfinden. Mit Helmut Kohl?

Aber selbstverständlich.

Was verstehen Sie unter geistiger Erneuerung, und ist das mit dem Führungspersonal dieser CDU zu leisten?

Ich bin sehr davon überzeugt, daß wir dies mit der CDU des Jahres 1991 erfolgreich machen können. Das ist ja auch eine Frage an mich selbst als Landesvorsitzender und Bundesvorstand. Ich tue mich selbst sehr schwer in der Frage Wohlstand bei uns und Asylproblematik. Mit den Veränderungen in Osteuropa haben nicht nur die militärischen Spannungen abgenommen, es hat sich auch etwas verändert in den Erwartungshaltungen der Menschen. Henning Voscherau hat zum Festakt am 3. Oktober Peter Bender mit den Worten zitiert: Der Osten wird nicht mit seinen Panzern kommen, sondern mit seinem Elend. Das sind die Herausforderungen, die wir aufgreifen müssen. Wie verhindern wir, daß die Oder/Neiße die Wohlstandsgrenze wird. Das darf kein Monopol anderer Parteien sein, damit die Union in Zukunft mehrheitsfähig bleibt.

Sie haben gesagt, daß die CDU sich auf die Grundwerte der Nächstenliebe und Solidarität zurückbesinnen müsse. Entdecken Sie etwas davon im Strategiepapier Ihres Generalsekretärs Volker Rühe zur Asylfrage?

Ich glaube, daß wir das natürlich auch darin wiederfinden.

Das war eine Wahlkampfstrategie, um auf Kosten der Asylbewerber Politik zu machen, nichts weiter.

Das weise ich mit großem Nachdruck zurück. Wir haben eine spezielle Verantwortung vor unserer eigenen Geschichte. Es ist aber ganz sicher richtig, daß wir nicht die wirtschaftliche Not der Menschen aus aller Welt bei uns lösen können. Es ist nicht zu verkraften, wenn wir Menschen aus Ländern aufnehmen, in denen sie nicht bedroht sind, oder wo sie schon Asyl hätten beantragen können.

Ist es nicht Heuchelei, wenn Ihr Generalsekretär seinen Parteifreunden empfiehlt, die SPD zu triezen bis aufs Blut und die Asylsuchenden in den Räten zum Thema zu machen. Ob Asylbewerber in Hotels wohnen, sollten CDU-Leute fragen. Wollen Sie das verteidigen?

Wenn wir der Meinung sind, daß wir die eben skizzierten Ziele nur erreichen können, indem wir das Grundgesetz ändern, muß dies auch von der SPD mitgetragen werden — etwa durch einen Gesetzesvorbehalt beim Artikel 16. Ich unterstütze den Vorschlag des Kollegen Schäuble. (Artikel 16,2 des Grundgesetzes lautet: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. — d.Red.) Es wird dem Grundrecht auf Asyl am wenigsten Rechnung getragen, wenn wir nicht jedem hier in Deutschland klarmachen, daß es nur von denen in Anspruch genommen werden kann, die es brauchen. Das möchte ich freihalten von jedem Verdacht.

Sind Sie in Saarlouis gewesen in den letzten Wochen?

Ich bin in den letzten Wochen nicht in Saarlouis gewesen. Ich bin aber natürlich der Überzeugung, daß man auch in Saarlouis zu sein hat. Ich bin in Hoyerswerda gewesen ohne große Pressebegleitung, weil ich überzeugt bin, daß dies ungleich besser ist. Ich möchte mich bei solchen Besuchen nicht in den Mittelpunkt stellen, weil es entscheidend darauf ankommt, den Menschen vor Ort zu sagen, ich komme euretwegen. Interview: Gerd Rosenkranz/

Hermann-Josef Tenhagen