■ DIE PREDIGT-KRITIK
: Ein guter Platz im neuen Reich

Die Kirche der St. Canisius-Gemeinde am Lietzensee ist von unerträglich moderner Häßlichkeit. Der eiförmige Atombunker mit dem ausgemergelten Gußeisenchristus hinterm Altar müßte sofort jedes Kind zur Konversion bewegen, wenn nicht dieser ungewöhnlich köstliche Pfarrer gewesen wäre (natürlich ein Ausländer holländischer Natur!), der in heiterer Entspanntheit neben dem Altar Platz nimmt, wenn gerade nichts zu tun ist, mit den Fingern den Rhythmus der Lieder klopft und die Gläubigen des Kindergottesdienstes wohlwollend bis nachdenklich betrachtet.

Das Evangelium, geschrieben von Markus, erzählt, wie einmal Jakobus und Johannes zu Jesus kamen, und ihn um einen guten Platz (nämlich den zur Rechten und zur Linken des Herrn) im »neuen Reich« baten. »Es geht also um Karriere«, sagt der Pfarrer freundlich, »und man muß sich vorstellen, daß ja diese Jünger einfache Leute waren, die gar keine richtige Ahnung von dem hatten, wovon Jesus ihnen sprach. Daß die >Erneuerung< vielleicht keine staatliche sein könnte, sondern eine religiöse — das war ihnen nicht bewußt. Und das ist ja klar — je weiter wir unten sind, um so größer die Phantasien über das, was weiter oben los ist.« Gegen Karrieremachen, sagt der Pfarrer, sei im Prinzip nichts einzuwenden, wenn man nicht denkt, daß sei ein Lebenssinn — das habe auch Jesus akzeptiert —, aber er erinnert sie an den Preis, den der Platz zur Rechten und Linken fordere.

Immerhin komme dieses »zur Rechten und Linken« im Lukas- Evangelium wieder vor, nämlich bei der Kreuzigung. Da hingen zwei Männer an der Seite Jesu, die eigentlich mit der ganzen Sache nichts zu tun hatten. Der Pfarrer sagte, es ginge nicht gegen Rangordnung an und für sich, auch Jesus habe diese gekannt — allerdings ginge es eindeutig gegen Machtmißbrauch. Und dann sagt er etwas besonders Hübsches: »Es wäre ja schön, wenn die, die Macht haben, ihre Macht nur mißbrauchen würden, um ihre eigenen Taschen zu füllen — solange ich genug zu essen habe und ein Dach über dem Kopf, können die sich doch soviel bereichern, wie sie wollen, wenn sie das unbedingt brauchen —, aber dabei bleibt es ja nicht, sie mißbrauchen ihre Macht um andere Menschen zu knechten, zu quälen und zu töten...«

Der Pfarrer trägt ein grünes Kleid, wie die wohlgenährten Meßbuben, sechse an der Zahl, die leider keinen wohlduftenden Weihrauch schwenken, sondern nur einmal zaghaft die Schelle erklingen lassen, als der Pfarrer die Oblaten von einer Schüssel in die andere schüttet. Ansonsten reichen sie kleine Körbchen durch die Reihen, in die man Geld reinstecken soll. Nach anfänglicher Empörung über die schamlose Kombination von Ritual und Mammon mußte ich doch einsehen, daß diese Mischung sehr realistisch und erdig ist, und daß ein gesundes Verhältnis zum Geld besser ist als bigotte Heimlichtuerei. »So, und jetzt wünsch ich euch noch einen schönen Sonntag, und daß keiner einen Hexenschuß kriegen soll«, sagt der freundliche Hirte nach dem Segen und dagegen ist wirklich nichts einzuwenden. Renée Zucker