»Berlin, Berliner, am Berlinsten«

■ Premiere des neuen Kabarettprogramms bei der »Distel«

Das »Kabarett« kommt ursprünglich aus dem Französischen und war da einst eine »in Fächer eingeteilte Speiseplatte«. Die »Distel« wäre gerne ein Kabarett und kommt immer noch vor allem aus der DDR.

Am vergangenen Wochenende haben sie sich schon wieder vergeblich an einem gewendeten politisch- satirischen Programm versucht, die einst einzigen regimekonformen Staatskritiker der sozialistischen DDR. Berlin, Berliner, am Berlinsten steigert die »Distel« ihr Titelmotto etwas unidiomatisch, aber durchaus touristenwirksam. Und weil man sich, den Berlinern und allen anderen auswärtigen West- Mark-zahlenden Gästen schließlich nichts schuldig bleiben will, schunkelt sich das Programm gleich zu Anfang mit dem Gassenhauser Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft mitten rein in die Geschmacksmagengrube des Publikums. Viel Kulinarisches hat die Speiseplatte der »Distel« dann auch im weiteren nicht zu bieten. Denn immer von der Bühnenrampe herab — schauspielern ist eine Kunst, von der das Kabarett wohl nicht immer lebt — hauptstädelt es in dieser HO-Gastsätte, wo es nur geht. Im Wort und Liedgut, von »Unter den Linden« bis Rumtata, von »Gasse« — bis »Hauch mich«. Die Reime sind ungefähr so sinnreich wie die U-Bahn-Werbung von Paech, und Selbstkritik äußert sich in eloquenten Sinnsprüchen wie »Für alle, die das Bestehende geloben, führen alle Wege nach oben!«

Berlin ist natürlich am »Berlinsten« in der Friedrichstraße. Also immer vor der Haustür. Hier, wo »alles zusammenwächst«, vor allem die deutsch-deutschen Bodenpreise. Hier im Osten, wo der aufrechte Ex- VEB-Mittelständler Ost immer noch ehrliche rote Zahlen schreibt, während die junge Kleinunternehmerin West ihr schmutziges Geld schon mit dem Bestatten von Unternehmen verdient. Pfui, Spinne! Verräter gibt es in Hülle und Fülle. Die gerissene Arbeitslose — West natürlich! —, die ihre Sozialwohnung an »sechs Jugos« vermietet und selbst mietfrei bei ihrer armen Oma im Osten wohnt. Oder das West-Übersiedler-Ehepaar, das schon ganz akklimatisiert, nun von ihren armen Ostverwandten die einst aufgegebenen Jugendstilmöbel zurückfordert. Neuerdings ist aber auch der Staaten einer, Helmut Kohl, Zielscheibe kabarettistischen Ostspotts. Denn so hatte man sich das ganze dann ja doch nicht vorgestellt. Wie schön: Die schon nicht mehr neue Einigungsmüdigkeit hat also auch inzwischen die »Distel« erreicht.

Und da kann sich das Programm dann ja wieder — wie ehedem — in Selbstmitleid Ost und Feindbild West sudeln. Bodenspekulation, Lohngefälle, Armut und das kleinkapitalistische Sozialprestige der Ossis — alles Westprodukte. Und, daß ihr lieber Kanzler seine »Beliebtheitsgrenze« auch jetzt noch immer weiter in Richtung Osten verschieben will, finden sie nun nicht mehr redlich. Besonders wo die Deutsche Mark womöglich »weich« werden könnte! Ausgerechnet jetzt, wo man sie gerade hat, ist das ja irgendwie Kacke.

Es geht um die immer teurer werdende Hauptstadt Berlin, diese blöden Alt-Bundis und jene armen Neu- Bundis. Brisante Themen wie die »Ausländerfeindlichkeit« in den neuen und alten Bundesländern werden mit der Sensibilität eines Primaner-Kabaretts abgehandelt. »Haben oder nicht sein« das sei neuerdings die mitteleuropäische Frage, und so stopft auf der Bühne die Berliner Katzenbesitzerin (West?) Schabefleisch in ihren herzverfetteten Liebling und schert sich — das ist die Botschaft — ganz unreflektiert keinen Deut um die Hungernden der übrigen Welt. Der »Berufsoberschlesier« ist natürlich ein alter Opa und von daher nicht wirklich gefährlich. Die Befreiungsbewegungen des Ostenes werden, nun, da man ja im richtigen Boot seinen Platz gefunden hat, schon wieder verspottet und insgesamt wundert man sich jetzt sowieso über »jarnischt mehr«.

Wo doch nun auch von drüben alle einmal in Mallorca gewesen sind, wird der alte Scherz vom teutonischen Touristen-Imperialismus jetzt also auch im Ostteil der Stadt verstanden. Schön, daß auf diese Weise ein alter Witz noch einmal zu einem kleinen bescheidenen Comeback kommen kann. »Müller, Schulze, Meier sind bei der Siegesfeier« — das ist wahre Sozialkritik am bundesdeutschen Rüstungsgeschäft. Und »unser Ideal heißt Kapital!« die moderne Form von Vergangenheitsbewältigung. Alles in allem haben wir bei der Premiere geschunkelt und gelacht, was das Zeug hielt, besonders wenn wir aus dem Osten waren, waswir eben nicht sind.

Und so konnte mich nur ein einziger Gag wirklich überzeugen. Als sich die tuntige Viktoria von der Siegessäule im Plausch mit dem getürmten Ivan-Denkmal aus dem Osten ein russisches Armeekoppel andrehen läßt, war das direkt einmal komisch. Nicht besonders, aber immerhin 60 Prozent vom West-Kabarett. Auch Wessis sind schließlich manchmal genügsam in ihren Unterhaltungsansprüchen. Klaudia Brunst

Die »Distel«, Friedrichstr. 101, 1080 Berlin, täglich außer Mo, 19.30 Uhr.