: Wesen, die man nicht vergißt
■ Der amerikanische Schriftsteller Matt Ruff liest
Der Tag ging wieder zur Neige, und als es in Delaware Abend wurde, verließ die schönste Frau der Welt die Hauptstadt Dover und wanderte auf der Bundesstraße 13 in Richtung Norden. Ihr Name war Kalliope, und sie hinterließ auf ihrem langen Weg eine Kette sorgfältig gebrochener Herzen — wie Diamanten, die ein Edelsteinschleifer in eine schönere Form gebracht hat.« Kalliope, die schönste Frau der Welt gehört zu den vier Hauptpersonen der insgesamt 40köpfigen Belegschaft eines der heitersten und spannendsten Werke des diesjährigen Bücherherbstes. Der fast 600 Seiten starke Roman Fool on the Hill des Mittzwanzigers Matt Ruff wird ebenso die Fans des alten Tolkien- Epos Herr der Ringe, wie auch die Mad-Max-Enthusiasten erfreuen. Schauplatz ist der Campus einer Kleinstadtuniversität, und es geht um Menschen, Hunde, Katzen, Kobolde, Fieslinge, eine aufblasbare Gespielin aus Gummi, eine Gang auf Pferden und Motorrädern, die sich »Die Bohemier« nennen, und Namen wie Woodstock, Löwenherz, Ragnaröck, Aphrodite oder ZZ-Top tragen, und um Gott, der eigentlich ein Schriftsteller ist, Mister Sunshine heißt, der manchmal genug von einer Geschichte hat und sie dann seinen Affen überläßt.
»Sämtlich blind, taub und stumm und doch jedem gewöhnlichen schwerbehinderten Primaten unähnlich, umgaben die Affen Mr.Sunshines Schreibtisch in ungeheuren Scharen. Jeder Affe mischte mit. Da sie allerdings nicht die leiseste Ahnung hatten, worum es eigentlich ging, waren ihre Einmischungen vollkommen planlos und für gewöhnlich ohne Sinn und Verstand. Das war schon in Ordnung — die Geschichten liefen trotzdem weiter, und ab und zu gelang ihnen auch ein Treffer. Ein Affe, der am Leben Katharinas der Großen rumwerkelte, hatte rein zufällig eine kleine Episode mit einem Pferd eingefügt, über die sich Mr.Sunshine noch tagelang kringelig gelacht hatte.«
Mr. Sunshine ist also beileibe kein gütiger Schöpfer mit langem Haar, blauen Augen und sanftem Blick, eher ein zerstreuter, ja manchmal geradezu bösartiger Regisseur, der das Leben aller Hunde und Katzen, Menschen und Kobolde ganz schön durcheinanderbringt, wenn sie gegen die Sexpuppe, Ku-Klux-Klan- Priester, reaktionäre Korpsstudenten, machtgierige Rasseköter, Rattengeneräle und ekelige Engerlinge zum Kampf antreten müssen, damit der melancholische Poet St.George endlich die richtige Frau findet, Aurora Smith endlich das richtige Abenteuer im Leben lebt, ihr Vater Walter den besseren Dope rauchen kann, die Bohemier die wahre, ritterliche Queste bestehen, und Hundebastard Luther endlich den richtigen Weg zum Himmel einschlägt, auch wenn sein Katerfreund Black Jack nichts von dem ganzen Quatsch wissen will. Aber wie wußte schon der kleine Mischling Denmark das alte Sprichwort: »Sprich nie mit einer Katze über Gott«.
Fool on the Hill kann man nicht nacherzählen, nur nacherleben. Keine der auftretenden Figuren möchte man gehen lassen, außer den ganzen Fieslingen natürlich. Man möchte weiter mit ihnen bleiben, immer einen kiffen, mit Ragnarök Motorrad rasen, den Philosphien der Hunde über »die Leere im heiligen Knochen« lauschen, mit Aurora und St.George die Tage und Nächte vervögeln, dem Wind die Richtung befehlen, und den Kobolden ihre kleinen Fluggeräte abluchsen.
» Aber meine Geschichte«, beharrte der Geschichtenerzähler, »handelt von einem Narren auf einem Hügel, einem Narren, der den Wind in seine Gewalt gebracht hat, einem Narren, der seinem Onkel widerspruchslos abgenommen hat, Künstler seien, Götter ausgenommen, die einzigen Wesen, die imstande sind, Unsterblichkeit zu verleihen. Was eine ziemlich gefährliche Einstellung ist, gleichgültig, ob du nun griechischer Heide, Christ oder Jude bist.«
Von Matt Ruffs 45 Hauptfiguren sind einige für mich ziemlich unsterblich geworden. Renée Zucker
Matt Ruff liest aus Fool on the Hill heute abend um 20 Uhr im Amerika Haus. Das Buch ist erschienen bei Hanser und kostet 45,- DM.
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