Wohin mit den Sommersprossen im Regierungsviertel?

■ Das »Stadtforum« diskutierte in seiner elften Sitzung Regierungs- und Parlamentsstandorte: Hassemer widerspricht den Potsdamer-Platz-Kritikern/ Spreebogen und Mitte sind in der Planung/ Strukturkonzept gegen private Landnahme und unverhältnismäßige Anforderungen des Bundes

Berlin. Zweifellos steckt Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer die Kritik an der Wettbewerbsentscheidung für den Potsdamer und Leipziger Platz noch in den Knochen. Sie sei von »geringem Respekt«, »miserablem Stil«, »unzureichender Kenntnis« und »Falschmeldungen« geprägt, vermeldete er als Ouvertüre zur elften Sitzung des »Stadtforums«. Besonders »flach«, maulte Hassemer, war die Auseinandersetzung dann, als mit diesem Ergebnis »eine Entscheidung gegen Hochhäuser gesehen wird«. Es werde sie geben, nur eben an dieser Stelle nicht!

Natürlich lag es nicht allein an der Kritik, die dem Senator das gekürte Modell von Hilmer und Sattler vermasselte. In Wirklichkeit waren — und sind — es die Attacken des Konzerns Daimler-Benz, der mit heimlichen Briefen und offenen Angriffen gegen eine Stadtentwicklung fährt, die ihm nicht paßt. Zu bieder, zu niedrig, zu kleinmütig seien die prämierten Planungen. Posemuckel eben! Zudem führt er einen klugen Entwurf des englischen Architekten Richard Rogers mit im Gepäck, der den Potsdamer Platz mehr von seinem historischen Ballast befreit als der Hilmer/Sattler-Plan und zudem baulich und ökologisch optimiert. Ist es die politische und fachliche Zwickmühle, die unseren obersten Stadtentwickler wütend in die Offensive treibt?

Beim Thema »Regierungs- und Parlamentsstandorte«, die das Forum am Sonnabend diskutierte, gab sich Hassemer wieder besänftigt: Die Regierungsbauten könnten die »Sommersprossen« in der Mitte Berlins werden. Nach der Entscheidung des Bundestages vom 20.Juni 1991 für Berlin als Regierungssitz wäre ein Umzug in zwei Phasen sinnvoll. Einmal könnte das Parlament in bereits existierenden Gebäuden untergebracht werden.

In einer zweiten Phase des Einzugs, die alle Neubauten umfaßt, könnte die Regierung übersiedeln. Und: »Regierung und Parlament haben in Berlin ihren Platz in der Mitte der Stadt.« Dennoch sollte ein »Parlament der kurzen Wege« sich keineswegs über die anderen Teile Berlins erheben, sondern sei in »besonderer Weise auf die gewachsene Stadtgestalt und Stadtstruktur verpflichtet«. Diese müsse »weiterentwickelt« und dürfe nicht »abgelöst« werden.

Daß ein Regierungsviertel sich an den Bedürfnissen der Stadtentwicklung zu orientieren habe und »statt Ballung im zentralen Stadtgebiet eine behutsame Integration« notwendig sei, sah auch Karlheinz Wuthe, Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die »Nutzung des Reichstags als Plenarsaal« sei endgültig festzulegen, ebenso ein »Programm für die zusätzlichen Einrichtungen«.

Neben dem Reichstagsgebäude, das nach seiner Modernisierung leicht den Plenarsaal aufnehmen könnte, hätten die Bauten des Bundestagspräsidiums, der Bundesverwaltungen und die Wohnbauten der Parlamentarier im Spreebogen Platz. Dazu sollten der Bund und das Land Berlin gemeinsam Ideenwettbewerbe ausloben.

Wohl kaum hat eine Stadt ihren Regierungsstandort so oft geplant — und nie verwirklicht — wie Berlin am Spreebogen. Wurde das Reichstagsgebäude als Symbol für die verspätete imperiale Weltmacht vor den Toren des feudalen Berlins noch gebaut, wie Landeskonservator Engel referierte, so sind alle nachfolgenden Planungen für ein zentrales, kompaktes Regierungsviertel Papier geblieben.

1919 schlug Martin Mächler im »Bebauungsplan für Groß-Berlin« vor, sämtliche Ministerien um den Platz der Republik zu versammeln. In den 20er Jahren präsentierten gleich zweimal, 1927 und 1929, Architekten wie Peter Behrens, Hans Poelzig und Emil Fahrenkamp Entwürfe zum modernen Ausbau des Reichstagsgeländes. 1936 nahm Albert Speer den Mächler-Plan wieder auf, um entlang einer breiten Nord- Süd-Achse ein größenwahnsinniges »Germania« zu planen. Als nördlicher Abschluß sollte über dem Spreebogen die riesige »Halle des Volkes« entstehen. Auch nach dem Krieg brachte der »Hauptstadt-Berlin-Wettbewerb« 1957 mit so renommierten Teilnehmern wie Le Corbusier oder Hans Scharoun nur mehr Papier zustande. Ost-Berlin konzentrierte seine Planungen auf das alte Zentrum. In West-Berlin verkam das Gelände an der Sektorengrenze zum Niemandsland.

Für ein dezentrales Konzept von Parlaments- und Regierungsstandorten plädierte auf dem Forum der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi (SPD). Im Spreebogen, so der Bonner Bauexperte, bestehe die Gefahr einer Monostruktur. Das Gelände berge die Gefahr eines »Regierungsgettos«, verführe zu »Pathos« und einer »demonstrativen Staatsarchitektur«, die zudem von »Sicherheitsfetischisten abgesichert« würde. Durch die Nutzung im alten Zentrum Berlins käme ein urbaner Standort hinzu.

Allein im Bereich des Marx-Engels-Platzes liegen sieben große Bauten für Regierungsfunktionen. Auf der Spreeinsel steht das ehemalige Staatsratsgebäude und das Ministerium für Bauwesen, der Palast der Republik, der Marstall und das Amt für Formgestaltung. Westlich des Spreegrabens folgen das frühere Haus des Zentralkomitees und das Kronprinzenpalais an der Straße Unter den Linden. Zugleich wäre dort mit Neubauten eine städtebauliche Verdichtung möglich. Die Grünschneise vor dem Werderschen Markt und das Aufmarschgelände am Marx-Engels-Platz ließen sich wieder als Teil des innerstädtischen Körpers erleben.

Ob die Parlaments- und Regierungsbauten im Spreebogen, auf dem Gelände der einstigen Ministergärten an der Wilhelmstraße — oder auf dem Tempelhofer Feld, wie der Berliner Architekt Gerd Neumann vorschlug — entstehen werden, so oder so, die »Innenstadt hat ihre Aufgabe als Hauptstadtfläche längst getan«, sagte der Historiker Dieter Hoffmann-Axthelm. Statt Ministerien und »privater Landnahme durch Investoren« müsse ein Strukturkonzept dafür Sorge tragen, daß »zivile Nutzungen« in die Mitte einziehen. So dürfe etwa das Karree am Brandenburger Tor nicht mit Bundesbauten verplant werden. Zu fürchten ist, daß die bürgerliche Innenstadt zwischen Alexanderplatz und Spreebogen von zwei Regierungszentren in eine ost-westliche Zange genommen werde, in der sie schwer überleben könnte. Hinzu komme, daß sich neben die leblosen Regierungsbereiche und musealen Kultstätten eine Dienstleistungscity drängen wird. Die Reste einer differenzierten Parzellenstruktur werden dadurch gänzlich zerstört. Rolf R. Lautenschläger