Abschiebung ist Mord — Flugis gegen Abflug

Tegel. Auch zu Zeiten sich überschlagender Toleranzaufrufe werden unvermindert Asylbewerber abgeschoben. Die Abschiebung eines jungen Kurden vom Flughafen Tegel wurde am Samstag mittag von lautstarkem Protest begleitet. Etwa sechzig Demonstranten hatten sich vor dem Abfertigungsschalter der Istanbul Airline versammelt, um gegen die Abschiebung, von der sie nach eigenen Angaben »durch private Kontakte« erfahren hatten, zu protestieren.

»Abschiebung ist Mord! Bleiberecht für alle, jetzt sofort!« skandierten sie und forderten Passagiere und Flugpersonal auf, den Abflug zu verhindern. Noch im Juni dieses Jahres hatte sich ein Pilot geweigert, mit einem Asylbewerber das Tegeler Rollfeld zu verlassen. Am Samstag verweigerten zwei Passagiere die Mitreise nach Istanbul. Als das Flugzeug bereits unterwegs zur Startbahn war, forderte ein Berliner Ehepaar, wieder aussteigen zu dürfen. Das Flugzeug rollte zurück zum Terminal und setzte die beiden wieder ab.

»Wir haben gesagt, entweder er fliegt oder wir«, erzählte die Passagierin. »Wir wollten Urlaub in der Türkei machen, aber wenn jemand gegen seinen Willen außer Landes gebracht wird, fliegen wir nicht mit.« Das Flugpersonal habe ihnen zwar ermöglicht, mit dem Kurden zu reden, wollte ihn aber nicht aus dem Flugzeug entlassen.

Ohne die Mitarbeit von Passagieren und Flugpersonal sei es so gut wie unmöglich, eine Abschiebung per Flugzeug zu verhindern, berichtete eine Demonstrantin. Die meisten Asylbewerber erführen erst wenige Stunden vorher von dem bevorstehenden Abflug. Oft hätten sie nicht einmal mehr Gelegenheit, ihren Anwalt zu konsultieren. In Tegel passieren die Abschiebungskandidaten nicht den normalen Abfertigungsschalter, sondern werden direkt von der Polizei auf das Rollfeld gefahren.

Die Abschiebung von Asylbewerbern in ihre Heimatländer habe dort für viele Bedrohung und Verhaftung zur Folge. Dies gerate im Zuge der Diskussionen um Asylunterkünfte zunehmend in Vergessenheit, sagten die Demonstranten. Auch nach Ansicht des ausländerpolitischen Sprechers der AL, Wolfgang Wieland, steht die Bundesrepublik gegenwärtig vor der größten Abschiebewelle von Flüchtlingen in ihrer Geschichte. jgo