Auf der Spur von Betty M.

■ Publizistische Versuche, Betty Mahmoodys Buch „Nicht ohne meine Tochter“ zu entmystifiezieren. Der Bestseller paßt ausgezeichnet zur Vorstellung von der islamischen Welt als neuem „Reich des Bösen“.

Hatz“ steht in blutroten Buchstaben über dem Foto einer Frau — in groben Pinselstrichen, als ob es hastig als Parole an eine Hauswand geschmiert sei. Die Frau auf dem Bild ist Betty Mahmoody, und sie ziert die Titelgeschichte der neuesten 'Emma‘. Titel: „Die Hatz auf Betty Mahmoody — Unter dem Deckmantel des Antirassismus blüht der Sexismus“. Tenor: Die „sogenannten Linken und ihre Frauen“ haben zum „Spielchen: Heißa ist es schön im Iran“, zu einer beispiellosen „Anti-Mahmoody- und Pro- Iran-Kampagne“ aufgerufen.

Die 'Emma‘-Macherinnen hätten die Publikationen lesen sollen, die sich mit Betty Mahmoodys Nicht ohne meine Tochter befassen. Denn erschienen sind mittlerweile zahlreiche Auseinandersetzungen mit Mahmoodys Werk — ernstzunehmende Analysen, die zwar Betty Mahmoody kritisch gegenüberstehen, aber in keiner Weise die Diktatur religiöser Fanatiker in Teheran gutheißen. Im Gegenteil: Einige der VerfasserInnen sind selbst vor dem Regime aus dem Iran geflohen — so Nasrin Bassiri und Mostafa Arki. Andere, wie die Ärztin Sonia Seddighi, oder die Autorinnen in einem von Gitti Baum herausgegebenen Band, sind Iranerinnen, die schon lange in der Bundesrepublik leben bzw. deutsche Frauen, die mit einem Iraner verheiratet sind.

Alle AutorInnen sind von Mahmoodys Buch persönlich betroffen. „Es war mir... immer peinlicher gewesen, das Buch nicht gelesen zu haben. Jeder Nachbar, jede Arbeitskollegin, Mitreisende im Zug oder Arzthelferin im Krankenhaus fragten mich danach, sobald sie wußten, daß ich aus dem Iran komme.“ (Bassiri, S. 10) „Ich hatte das Gefühl, vor einem Gericht zu stehen und dort meine Unschuld zu beweisen, obwohl ich mich ganz und gar nicht schuldig fühlte.“ (Seddighi, S. 3). „Iranerinnen und Iraner empfinden das Buch als einen Rufmord an ihrem eigenen Volk.“ (Baum, S. 11).

Um diesem „Rufmord“ entgegenzutreten, machen sich alle VerfasserInnen zunächst daran, die von Mahmoody halbwahr dargestellten Details zurechtzurücken oder falsche Informationen zu widerlegen. Viele von Betty Mahmoodys Beschreibungen und ihre Wortwahl können aufmerksame LeserInnen aber auch ohne sachkundige Hilfe als rassistisch entlarven — etwa, wenn IranerInnen sich angeblich wie wilde Tiere auf ihr Essen stürzen. Die AutorInnen der zitierten Werke demonstrieren Mahmoodys Unkenntnis und ihre Pauschalisierung aber an weiteren Details, die Islam- oder Iran-Unkundige nicht ohne weiteres erkennen würden.

Dieser erste Schritt in der Auseinandersetzung mit Mahmoodys Buch ist also keineswegs kleinliche Faktenhuberei. Nasrin Bassiri beispielsweise schildert ausführlich, wie sie und ihre FreundInnen sowohl unter dem Schah- als auch unter dem Schiitenregime verfolgt wurden. Vor diesem Hintergrund bewertet sie Mahmoodys Behauptung, IranerInnen folgten „duckmäuserisch“ jeder Autorität: „Diese Aussage hat mich am meisten getroffen. Nicht, weil Frau Mahmoody, eine Frau mit mittelmäßigem Bildungsstand und blindem Haß, es behauptet, sondern weil so viele Leser, eigentlich trotz besseren Wissens und Informationen über Widerstand, Folterungen und Hinrichtungen, sich vom Buch beeindrucken ließen.“ (S. 40)

Die Tatsache, daß Betty Mahmoody in der von ihr geschilderten Weise im Iran festgehalten worden ist, ziehen die AutorInnen nicht in Zweifel. Denn ihnen geht es in erster Linie nicht darum, sondern um rassistische Äußerungen gegen das iranische Volk bzw. die islamische Welt.

Eine Ausnahme bildet hier das von fünf Deutschen und IranerInnen unter dem Pseudonym „T. Rasi“ herausgegebene Nicht ohne meine Betty. Auf der letzten Seite behaupten die AutorInnen, daß ein Arzt namens Bozorg Mahmoody in Teheran unbekannt sei. „T. Rasi“ steuert nichts zu einer differenzierten Diskussion um das Verhältnis Iran/Islam/Westen bei. Statt dessen verfallen die VerfasserInnen in einen Rassismus, der den Westen und den Islam diffamiert und den „wahren Iraner“ als Supermenschen darstellt: „Ein Iraner schlägt seine Frau... nicht. Eine echte iranische Frau läßt sich nicht schlagen. Nur islamische Frauen müssen sich in Iran so etwas gefallen lassen. Alle gläubigen Muslime schlagen häufig ihre gläubigen Frauen.“ (S. 48) Oder: „Die Europäer erkennen die Iraner insbesondere an ihrem klaren Blick.“ (S. 53)

Dieses Machwerk ist lediglich polemisch. „Betty Darling, ...sein (Moodys) Geschmack ist auch miserabel, er hat Sie zur Frau gewählt.“ (S. 25/39).

Bücher von Arki, Bassiri und Seddighi sowie von Baum und ihren Mitstreiterinnen blicken über Mahmoodys Buch hinaus. Mostafa Arki geht in seiner soziologischen Analyse Das Andere anders sein lassen der Frage nach, wie mit den Phänomenen Fanatismus und Fundamentalismus, aber auch mit männlichem Chauvinismus umzugehen sei, egal in welcher Gesellschaft. Mit dem Problem der bikulturellen Beziehungen befaßt sich auch Sonia Seddighi in Eine Amerikanerin in Teheran. Ausgehend davon, daß „Bettys Irrtum (darin) besteht, ... daß sie von bikultureller Ehe spricht, aber eine monokulturelle meint und auch praktiziert“ (S. 34), denkt die iranische Ärztin auch über ihr Leben in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren nach.

Am eindrucksvollsten ist Nasrin Bassiris Nicht ohne die Schleier des Vorurteils. Zum einen hat sie moralische Autorität, weil sie selber im Iran verfolgt und ihr das Kind weggenommen wurde, weil sie — wie Betty Mahmoody — fliehen mußte, allerdings aus politischen Gründen. Sie reagiert aber nicht mit blindem Haß, sondern analysiert differenziert die Rolle der Frauen im Iran, vergleicht mit westdeutschen Frauen und schildert damit am umfassendsten die Situation im Iran. Bassiri schreibt nicht aus scheinbar soziologischer Distanz wie Arki; sie reflektiert auch nicht vorwiegend ihr Leben in Deutschland, wie es Seddighi tut. Sie arbeitet nicht Mahmoodys Aussagen Detail für Detail auf und zitiert nicht die Urteile Weltreisender über die alte Hochkultur Iran wie die Autorinnen in Betty Mahmoody auf der Spur. Bassiri schreibt am meisten von allen „mit dem Herzen“ und dennoch klar.

Alle AutorInnen verbindet die zentrale Frage: Warum ist Nicht ohne meine Tochter so populär in Deutschland? Antwort der Orientalistin Marfa Heimbach in Gitti Baums Betty Mahmoody auf der Spur: „In einer inhaltlich gleichen amerikanisch-deutschen Tragödie sähe man in einem Mann wie Mahmoody wohl eher einen pathologischen Fall, der in allen Ländern der Erde vorkommen kann... So interpretierte niemand Ingmar Bergmanns Ehedramen als Lehrstücke über schwedische Ehen. Wohl aber geschah es so zum Beispiel im Falle von Tevfik Basers Film 40 qm Deutschland, der immer wieder als Informationsquelle für türkische Ehen zitiert wird.“ (S. 28ff)

Die iranische Journalistin Goltschehre Jung im selben Band: „Es scheint zur Zeit opportun, die ganze orientalische Welt als Reich der nicht ziviliserten, nicht aufgeklärten Massen zu brandmarken. Nachdem die Sowjetunion nicht mehr als Reich des Bösen gilt, braucht man im Westen ein neues Feindbild, ohne das der Golfkrieg nicht so leicht zu führen gewesen wäre.“ (S. 83)

Auch Sonia Seddighi sieht in Mahmoodys Buch lediglich ein Symptom für eine großangelegte politische Diffamierungskampagne: „Nicht umsonst ist in den letzten Jahren ein Wust von Schriften und Filmen über die islamische Welt entstanden. Zeitungen und Zeitschriften mit Millionenauflage erzählen Horrorgeschichten aus dem Orient.“ (S. 56)

Demgegenüber haben die hier besprochenen Publikationen zwar das Verdienst, das komplexe Problem der Menschen- und Frauenrechte im Islam differenziert darzustellen. Ihre Auflage aber kann nicht mithalten — nach Verlagsangaben sind von Gitti Baums Edition 1.500 Exemplare gedruckt worden (eine 2. Auflage ist in Vorbereitung), von Seddighis Buch 6.000 und Bassiri 6.500 Exemplare. Ariks Werk ist mit 30.000 Stück in der 5. Auflage das meistverkaufte. Angesichts dieses Ungleichverhältnisses fragt Seddighi zu recht: „Es gab einmal in diesem Land eine Minderheit, die sich dem Unrecht widersetzte. Wo sind sie geblieben, die einst fortschrittlichen Linken?“

Nicht ohne meine Tochter wurde drei Millionen Mal verkauft. Wie die 'Emma‘ da eine „Hatz“ gegen Betty Mahmoody ausmachen kann, ist sowohl quantitativ wie qualitativ gänzlich unverständlich. Beate Hinrichs

Mostafa Arki, Das Andere anders sein lassen · Bikulturelle Partnerschaft. Kritische Anmerkungen zu Betty Mahmoodys Buch, Internationales Kulturwerk, Hildesheim o.J., 88 Seiten.

Nasrin Bassiri, Nicht ohne die Schleier des Vorurteils. Kritische Anmerkungen einer iranischen Frauenrechtlerin zu Betty Mahmoodys Buch. Zur Lage der Frau im Iran, Horizonte Verlag, Bad König 1991, 93 Seiten.

Gitt Baum (Hrsg.), Betty Mahmoody auf der Spur. Eine Auseinandersetzung mit dem Buch „Nicht ohne meine Tochter“, Ali Bokai Verlag, Köln 1991, 95 Seiten.

Sonia Seddighi, Betty Mahmoody — eine Amerikanerin in Teheran. Anmerkungen zum Buch und Film „Nicht ohne meine Tochter“, Das Arabische Buch, Berlin 1991, 58 Seiten.

T. Rasi, Nicht ohne meine Betty — Kurze Antwort , Schrab Verlag, Königsdorf/Köln 1991, 78 Seiten.