Erotisches Lachen

Das Sterben Hemingways: Jan Lauwers Inszenierung im TAT Frankfurt  ■ Arnd Wesemann

Er glaubt, sterben zu müssen. Ein ganzes Stück lang. Rezitiert aus Hemingways Fiesta. Er denkt ans Angeln. Sie steht in der Bühnenmitte Richtung Publikum, sehnsüchtig, traurig, die Augenwinkel schräg, ins Unendliche starrend, kerzengerade, ein Gesicht wie Ebenmaß, wie im Fieber, mit langen schwarzen Locken in einem halb aufgeknöpften Kleid. Stille über der Szene, er liest, sie schaut. Schaut wie nie gesehen schön.

Drei Viertel des Stücks schaut man wie blöd zurück, gafft nur sie an. Als käme nicht ein älterer Herr in die Laune, sich als alte Königin zu verkleiden, als sänge nicht ein schöner junger Spanier herzzerreißend madrigalesk. Als wären diese Burschen, fünf an der Zahl, nicht ebenso feine Kerle. Aber sie (Charo Peinando), in einem Ruck erzürnt, im nächsten wieder schön, nie beides auf einmal — sie, die Liebe Hemingways, steht, schaut und wendet sich, geht ab. So endet Hemingways Whiskybesäufnis. Aus seinem lethargischen Zustand erwachend, erhebt sich Tom Jansen, der Hemingway, von seinem Pult. Keiner wie er kann so lächerlich sein Gesicht in ein derart warmes, tonloses Lachen verbiegen. Nirgendwo sahen wir so verhalten gespielte Freude, die ein Gesicht derart vollkommen erleuchtet. Der junge spanische Sänger gibt ihm einen Kuß, ganz zart, und ein stilles, gleißendendes Lächeln überstrahlt die Szenerie, alle vorherige Todesillusion, alles Gefasel vom Sterben — alles verblaßt in seinem Lachen. Dann ist es aus, Schluß, Applaus.

Jan Lauwers, flämischer Zeichner und Regisseur einer immergleichen Masche (siehe auch taz-Gespräch vom Samstag), hat Holländer gegen Spanier spielen lassen. Invictos, zu deutsch „Die Unbesiegbaren“, ist eine Theatererzählung. Kein Drama. Dirk Roofthooft erzählt eine Geschichte Hemingways. Die anderen, die Akteure seiner Erzählung, hören zu, unterbrechen, kommentieren, fallen aus der Rolle, verweigern sich. Das ist die Masche. Lauwers ordnet sie immer neu. In einer schnörkellos symmetrischen Bühne mit sieben Bullaugen, auf die sieben Fische gezeichnet sind, unter fünf Ventilatoren, drei Sesseln, zwei Whiskyflaschen — so bietet Lauwers sein Interieur (mehr Interieur als Bühne) dar.

Wie bei Julius Caesar, seinem letzten Stück, plötzlich ein Scheinwerfer aus der Verankerung fiel, so gibt es heuer einen Stromausfall. Tanzten schon in Ca Va, dem ersten Stück der Needcompany (einer sich stets neu formierenden Gruppe), die Spieler wie zur Entspannung, so tanzen auch sie hier zwischen zwei Texten, kurz wie dazwischengefunkt. Ein Tänzchen, und weiter. Aber diesmal folgt noch ein zweiter Tanz: ein erotischer, zum Anklammern.

Ein Pas de deux des Sängers Eugenio Jimenez mit der bereits bewunderten Charo Peinando. Hingebungsvoll. Er macht keinen Hehl aus ihrer Schönheit. Er faßt sie an, streichelt sie, wo er kann, wo er's mag. Sie rückt nur heftiger in den Tanz hinein, während mit bescheiden wirkender Hoffnungslosigkeit Roofthooft seine Erzählung weiter und vergeblich zu ordnen versucht. Er weiß und zeigt, daß ihm keiner mehr zuhört.

Alles andere ist Todesstarre. In einer Langsamkeit, die Menschen zu eigen ist, die alles je wieder überdenken, ohne sich einem Ziel zu nähern. So der Rhythmus der Inszenierung. Das Thema, vorgeblich das Sterben, weicht der untergründigen Rivalität der drei holländischen Akteure gegen die drei spanischen Schauspieler. Das Stück ist ein einziges Übersetzungsproblem. Hemingway schnarrt englisch, seine Geliebte schüttelt sich spanisch, der Erzähler dolmetscht Liebe — die schön gewesen sein wollte, jedoch im sprachlichen Delirium weilt. Mehr ein Streit der Sprachen als der Geschlechter. Die zynische Dominanz der Holländer, eine ansehnliche, unschuldige Überlegenheit bei den Spaniern. Das Trinken auf Seiten der Holländer. Der Genuß auf beiden Seiten der Spanier. Die Herz bei beiden. Das Wie einer solch vielsprachigen Rede obsiegt. Es unterliegt die tragende, getragene Erzählung — sie selbst mit der Wirkung einer Gutenachtgeschichte.