Die Scham ist vorbei

Paul Schockemöhle ist ein Jahr nach dem Tierquälerskandal wieder der mächtigste Mann der Reiterwelt: Bei den „German Classics“ präsentiert er sich als Turnierdirektor  ■ Aus Bremen Michaela Schießl

Man mag es gar nicht glauben, daß jener gutangezogene, eher zierliche Mann mit dem bäuerlichen Jungengesicht derselbe ist, den „Stern-TV“ vergangenes Jahr zum Tierquäler des Jahres kürte: Ex-Europameister, Pferdehändler, Auktionsveranstalter und Turnierorganisator Paul Schockemöhle. Mit einer massiven Holzstange ließ er sich unwissendlich dabei filmen, wie er springenden Pferden hinterhältig auf die Vorderbeine schlug, auf das sie diese gefälligst höher nehmen — Barren heißt diese „Erziehungsmethode“.

Nun gehört Barren unter Springreitern und deren Gefolgschaft zum guten Ton. Oberste Prämisse jedoch: Nichts an die sensible Öffentlichkeit dringen lassen. Denn die hat — Wellensittich hin, Meerschweinchen her — nun mal keine Ahnung von Pferdeerziehung. Die ohrfeigen vielleicht ihre Kinder, doch wenn Tiere gequält werden, kocht die Volksseele. So schlossen Journalisten, Reiter und Organisatoren heimlich einen Schweigepakt, auf daß das lukrativen Geschäft Reitsport noch lange zum allgemeinen Profit bestehe.

Mithin bestand der wahre Skandal ums Barren für Schockemöhle darin, daß sein Informationssicherungssystem versagte. Die Fachjournaille hatte und hat er ob seiner absolute Machtstellung fest im Griff. Der Anschlag auf Schockemöhles Image kam sozusagen von Laienseite: Die Bänder wurden von dem langgedienten Videofilmer Schockemöhles, Horst Lorenz, dem 'Stern‘ und der 'Sports‘ zugespielt. Schockemöhle wurde im folgenden systematisch demontiert, bis er seinen Stall an einen Geschäftsfreund pro forma verscherbelte und erklärte, sich aus der Pferdewelt zurückzuziehen.

Eben jener Geschäftsfreund verstarb jedoch kurz darauf, Schockemöhle übernahm wieder offiziell die Geschäfte. „Ich kann ohne Pferde einfach nicht leben“, begründete der Befleckte in Bremen mit salbungsvoller Stimme. Und setzt triumphierend grinsend hinzu: „Wissen Sie, man darf ja fallen. Wichtig ist, ob man wieder aufsteht.“

So drängt sich die Frage auf, wie und vor allem mit wessen Hilfe er wieder auf die Füße kam. Tatsächlich war und ist ein Mann wie Schockemöhle kaum zu kippen. Unbestritten ist er einer der größten Pferdekenner der Welt — sein Sachverstand ist legendär. Seine Verbindungen, ob aus der eigenen Aktivenzeit oder Geschäftsbeziehungen über Pferdeverkauf, sind erstklassig. Von Busineß und Macht versteht er ähnlich viel: Mit seinem Turnier- und Ausbildungsstall hat er sich ein geniales Instrument geschaffen, um den Fachverband, die Deutsche Reiterliche Vereinigung, zu dominieren: Die crème de la crème der deutschen Springreiter sind bei ihm angestellt. Spurt der Verband nicht in Schockemöhles Sinn, kann er seine Reiter samt Pferden zurückziehen.

Ähnlich hörig ist ihm die Fach- Presse. Wer von Schockemöhles Informationen abgeschnitten wird, ist keinen Pferdeapfel mehr wert. Zudem hofiert der schlaue Paul die Underdogs der Journaille mit Glanz und Glitter: Einladungen zu rauschenden Eliteauktionen, kleine Feste im Hause Schockemöhle, manch einer, so wird gemunkelt, hat gar ein Schockemöhle-Pferd im eigenen Besitz.

So erscheinen seine Hofberichterstatter fast schamlos froh zu sein, ihren Liebling erfolgreich aus der Krise geschrieben zu haben. Der Fiesling vom vergangenen Jahr ist heute der hochehrenwerte Herr Turnierdirektor des mit 750.000 Mark am höchsten dotiertesten Hallenturnier der Welt. Bei der Pressekonferenz wird sich hemmungslos gedutzt: „Paule, biste zufrieden, was? Das freut uns echt!“ Über seine wundersam erfolgreichen Pferde wird geschwelgt, Paules Reiter in den Himmel gelobt, ebenso die perfekte Turnierorganisation. Nur als ein unbekannter Nestbeschmutzer nach den Folgen der Barrenaffäre fragt, wird die Idylle gestört. Doch flugs erhob sich ein Paule-Schreiberknecht, um den Unverschämten erhitzt und mit rotem Kopf ob dieser Ungehörigkeit zurechtzuweisen. „Ist das Schockemöhles Pressesprecher?“ fragte der entsetzte Kollege.

Ob dieser peinlichen Vorstellung war es geradezu tröstlich, daß der Majestro wenigstens professionell blieb. Er fühle sich voll rehabilitiert, denn eine wissenschaftliche Studie hat ergeben, das sein Prügeln weniger heftig sei als das Anstoßen an ein Hindernis. Zudem habe der Verband das Barren mit ausgewähltem Schlagstock erlaubt. Die Statistik spreche ihn frei. Zu dumm nur, daß die Entlastungsstudie von Schockemöhle selber und dem Verband in Auftrag gegeben wurde. Merke: Glaube nur deiner selbst gefälschten Statistik. Selbst der Tierschutzverband habe aufgrund dieser Studie seine Vorwürfe zurückgezogen, triumphiert Schockemöhle. Was, sollte er recht haben, einem neuerlichen Skandal gleichkäme.

Schockemöhle, das hat das Bremer Turnier gezeigt, ist wieder Herr im Pferdehaus. Seine Organisationscrew hat mehr zahlungskräftige Sponsoren als je zuvor umgarnt. Die Preisgelder lockten die besten Springreiter der Welt an. Die Fehler der ersten „German Classics“, die 1989 erheblich zu elitär aufgezogen waren, wurden vermieden: Niedrige Eintrittspreise und ein volkstümliches Rahmenprogramm garantierten volle Ränge. Und — natürlich — heimsen in erster Linie die Reiter von Schockemöhle die enorm hohen Preisgelder ein. Der Kreis schließt sich für den Turnierdirektor, der — selbstbewußter als zuvor — keinerlei Zugeständnisse bezüglich seines Tierquälerimages macht. So hat er nicht einmal auf das als besonders brutale, weil hohe, Mächtigkeitsspringen nach K.o.-System verzichtet. „Das ist ein wichtiges Show-Element, dafür haben wir Spezial- Pferde, die gut springen können, aber zu unsensibel sind für normale Parcours.“ Auch vom umstrittenen Embryotransfer, wo gute Zuchtstuten als Leihstutenbrutkästen mißbraucht werden, will er nicht lassen. „Ethisch Probleme habe ich dabei nicht. Das sind ja keine Menschen. Aber finanziell wird es sich nicht rechnen.“ Paule S. Gnadenlos — wieder ganz oben.