Die Tage des Genossen Lenin in Berlin sind gezählt

■ Der Abriß des Lenin-Denkmals ist beschlossene Sache/ Seit Monaten streiten die Berliner über den Umgang mit sozialistischer Vergangenheit

Berlin (taz) — Die Anwohner haben sich längst an ihn gewöhnt, konservativen Bezirks- und Senatsmächtigen ist er ein ideologischer Dorn im Auge, Künstler wollen ihn mit Efeu entfremden, Walter Momper schlägt vor, ihn von Verpackungskünstler Christo in Tuch hüllen zu lassen: Seit vielen Wochen tobt in Berlin ein heftiger Streit um einen 19 Meter hohen roten Granitblock im Ostberliner Bezirk Friedrichshain. Um keinen Geringeren als den Genossen Lenin, 1970 vom sowjetischen Monumentalbildhauer Nikolaij W. Tomskij in Stein gehauen „für den Sieg des Sozialismus“ (Walter Ulbricht), entzündet sich der Streit, der Streit um die Frage, darf er stehenbleiben oder nicht?

Was manchem Kritiker als Provinzposse erscheint, ist dennoch symptomatisch für den Politikstil im wiedervereinigten Berlin: Wo die konkreten Probleme des Zusammenwachsens derzeit kaum zu bewältigen sind, streitet man sich mit Verve ums Symbolische, will die regierende CDU mit flammendem Eifer die Relikte des Stalinismus entsorgen und dutzendweise Straßen und U-Bahn-Höfe umbenennen. Den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen plagt gar die Angst, Berlin könne eines Tages die letzte Stadt sein, „in der Lenin noch Straßen und Plätze ziert“. Doch ganz so reibungslos, wie es sich die Regierenden erträumen, klappt es nicht mit der Entsorgung der DDR-Vergangenheit. Wochenlang stritten die Bezirksverordneten von Friedrichshain um das rote Denkmal am gleichnamigen Platz, einem realsozialistischen Musterensemble des DDR-Vorzeigearchitekten Hermann Henselmann — der Platz soll übrigens künftig plump erzieherisch Platz der Vereinten Nationen heißen. Die Bezirkspolitiker entschieden schließlich, daß Lenin dort nichts mehr zu suchen habe — obwohl gute Gründe dafür sprechen, das Ensemble aus städtebaulichen und historischen Erwägungen stehen zu lassen.

Und so leicht konnte man den ungeliebten Götzen auch wieder nicht stürzen, denn kraft Gesetz stehen alle Berliner Denkmäler, auch die sozialistischen, unter Denkmalschutz. Nur wenn öffentliches Interesse stärker ist als denkmalschützerisches, darf ein Monument von der Liste gestrichen werden. Gegen den Willen von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin (SPD-nah) entschied nun der agile Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU), das Denkmal schlicht aus der Denkmalsliste zu streichen — und machte fadenscheiniges öffentliches Interesse geltend: Die Abtragung des Denkmals sei eine Fortsetzung und damit Bestandteil der 1989 eingeleiteten Revolution; es sei somit im öffentlichen Interesse, Lenin von der Liste zu streichen. Der Abriß ist somit vorerst beschlossene Sache — trotz zahlreicher Unterschriftensammlungen von Anwohnern und Aktionen des „Büros für Ungewöhnliche Maßnahmen“ und einer „Initiative Politische Denkmäler in der DDR“. In Ost-Berlin wurde bereits mit der Firma Brandt Eurokran verhandelt, die über Erfahrung im schwierigen Umgang mit Denkmälern verfügt: Sie transportierte 1985 das Reiterstandbild Friedrichs des Großen von Potsdam Unter die Linden in Berlin.

Wie der Abriß vonstatten gehen soll, wissen indes auch die Experten nicht. Im Inneren des Genossen wird ein Stahlbetonkern vermutet, der dann mit Preßlufthammern gesprengt werden müßte.

Doch der Streit geht weiter. Nachdem die CDU letzte Woche klammheimlich beschlossen hat, auch die mit dem Koalitionspartner SPD vereinbarte Fachkommission für Denkmäler sei gar nicht mehr notwendig, regt sich bei den Sozialdemokraten Widerstand. Es könne zum Koalitionsstreit kommen, drohten SPD-Politiker Ende vergangener Woche. Was mit Lenin tatsächlich passieren soll, ist immer noch völlig unklar, ein Abrißtermin steht noch nicht fest.

Spätestens Ende des Monats möchte Hassemer das Denkmal los sein. Als möglicher Standort für eine Zwischenlagerung ist ein Künstlerhof am Stadtrand von Berlin im Gespräch, in dem auch schon Teile des von der DDR-Regierung gesprengten ehemaligen Berliner Stadtschlosses lagern.

Den ersten Jahrestag der deutschen Vereinigung überlebte Lenin zum Ärger der CDU, am zweiten Jahrestag des Mauerfalls wird er wohl in Trümmern liegen. Kordula Doerfler