„Die Kirche auf Trab bringen“

Bundesweites Kirchenasyltreffen in Nürnberg fordert Schutzgarantien für Flüchtlinge/ Kirchenasyl als „letzte Möglichkeit“/ „Nürnberger Deklaration“ fordert die Öffnung von Kirchen  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Unter dem Eindruck der zunehmenden Pogromstimmung gegen Ausländer forderte ein bundesweites Kirchenasyltreffen in Nürnberg die Kirchen auf, für die Flüchtlinge eindeutig Stellung zu beziehen. Den Auftrag der Kirche ernst zu nehmen, bedeutet für die etwa 100 Gemeindemitglieder und Pfarrer aus dem ganzen Bundesgebiet, die sich in Nürnberg versammelt haben, notfalls Flüchtlinge vor der Abschiebung zu schützen. Sie appellierten in einer „Nürnberger Deklaration“ deshalb an Christen, Gemeinden, Kirchen, Gemeindehäuser und -wohnungen für Flüchtlinge zu öffnen und für die Bewahrung und Verwirklichung von Menschenrechten „mehr zu wagen“ als bislang geschehen ist.

Das bundesweite Treffen in Nürnberg kam auf Initiative der Freien Flüchtlingsstadt Nürnberg und der evangelischen Kirchengemeinde St.Jobst zustande. Mitglieder und Pfarrer dieser Gemeinde hatten 1990 einen Flüchtling aus Bangladesch ein halbes Jahr lang vor dem Zugriff der bayerischen Behörden versteckt. Bundesweit bisher einmalig ging die Staatsanwaltschaft auf Weisung des bayerischen Innenministeriums gegen die Kirchenasyl-Aktivisten wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz vor. Gegen eine Zahlung von einer Geldbuße in Höhe von jeweils 250 DM wurde das Verfahren schließlich eingestellt. Bayerns Innenminister Edmund Stoiber ließ bislang keinen Zweifel offen, daß er Kirchenasyl als Rechtsbruch betrachtet und Kirchen keine rechtsfreien Räume seien. Ähnlich der in den USA erfolgreichen „Sanctuary- Bewegung“ wollte nun die Kirchengemeinde St. Jobst einen Anstoß geben für einen Erfahrungsaustausch zwischen den am Kirchenasyl interessierten Gemeinden mit denen, die Kirchenasyl bislang schon praktiziert haben.

Um die bisherige stark zurückhaltende Position der Kirchen in der Ausländer- und Asylfrage zu geißeln, schreckte der katholische Theologe Herbert Leuninger, seit fünf Jahren Sprecher von „Pro Asyl“, auch vor nahezu ketzerischen Tönen nicht zurück: „Die Kirche ist die Einrichtung, die es Menschen ermöglicht, sich als Christen zu fühlen, ohne es sein zu müssen.“ Leuninger forderte die Kirchen in der Bundesrepublik auf, endlich „Anwalt der Schwachen und Stimme der Stimmlosen“ zu werden. Der Theologe gibt sich jedoch nicht der Illusion hin, daß sich die unbewegliche Großinstitution Kirche entscheidend verändern lasse. „Aus einem Elefanten kann man kein Rennpferd machen“, die Gemeindemitglieder müßten jedoch von der Basis her versuchen, „den Elefanten auf Trab zu bringen“, indem sie die Kirche an ihren „moralischen Wurzeln packen“. Eine dieser Wurzeln ist für Leuninger das Eintreten für und der Schutz von Flüchtlingen. Sollte Gemeindemitgliedern vom Pfarrer die Kirche als Räumlichkeit verwehrt werden, sollten sie einfach einen „anderen Raum zum Kirchenasyl deklarieren“.

In der Kritik am offiziellen Verhalten der Kirchen waren sich die Kirchenasyl-Aktivisten einig. „Ich fühle mich von der Kirche verlassen“, empörte sich Frau M. aus Königsbronn bei Heidenheim (Baden- Württemberg). Zusammen mit zwei weiteren Frauen versteckt sie einen 25jährigen Kurden vor der drohenden Abschiebung. M. will ihren Namen nicht genannt wissen, da ihr Eintreten für Flüchtlinge in der 6.000-Einwohner-Gemeinde nicht ohne Folgen geblieben ist. Ihr Freundeskreis hat sich stark verändert, sie verspürt Unsicherheit und Ablehnung bei den Anwohnern. Der Versuch von M., zusammen mit dem örtlichen Pfarrer für den Schutz von Flüchtlingen einzutreten, schlug auch nach einem Anschlag auf die örtliche Sammelunterkunft fehl. „Der Pfarrer meinte nur, er könne mit Fremden sowieso nicht umgehen.“ Von der in Nürnberg verabschiedeten „Deklaration“ erhofft sie sich eine Signalwirkung und eine Erleichterung für ihre Arbeit vor Ort.

Für Ulrike Voß von der Nürnberger Initiative „Freie Flüchtlingsstadt“ ist es jetzt entscheidend, daß die Kirchen oder zumindest einzelne Gemeinden eindeutig Position beziehen. Sie hält es jedoch für falsch, „auf die Kirchenführung zu warten“.