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Die Sorgen und Nöte von Israels Ministerpräsident Schamir

■ Zahlreiche Vorbehalte in Israel gegenüber der Nahost-Friedenskonferenz/ Wenig Begeisterung über den bevorstehenden Gang nach Madrid

Mit vereinten Kräften haben die Außenminister der USA und der Sowjetunion dem israelischen Ministerpräsidenten Jizchak Schamir ein klares Ja zur geplanten Nahost-Friedenskonferenz abgerungen. Als Schamir noch zögerte und den Vorschlag machte, er werde die Angelegenheit dem Kabinett „in einer ihrer nächsten Sitzungen“ zur Entscheidung vorlegen, preschte James Baker weiter vor und empfahl seinem Präsidenten, dem Hin und Her in Jerusalem durch die sofortige Einladung zur Eröffnungszeremonie der Konferenz am 30. Oktober in Madrid ein Ende zu setzen. Sicherheitshalber verlängerte der US-Außenminister seinen Aufenthalt in Jerusalem um weitere fünfzehn Stunden, um im Falle von weiteren Problemen noch an Ort und Stelle zu sein.

Welchen Grund hat Jizchak Schamir überhaupt, über die Einberufung einer Konferenz, die er selbst einst vorgeschlagen hatte, dermaßen beunruhigt zu sein? Schließlich ist immerhin vorgesehen, daß Israel auf Kosten der Palästinenser mit allen arabischen Regierungen Frieden schließt und die besetzten Gebiete weiter unter israelischer Kontrolle bleiben.

Die Zweifel und Ängste des israelischen Ministerpräsidenten haben mehrere Ursachen. Zwar wurden seine ursprünglichen Vorschläge zu weiten Teilen von Baker übernommen. Aber Bakers siebenmonatige Reisediplomatie in der Region haben hie und da auch zu Kompromissen gegenüber den arabischen Staaten und sogar den Palästinensern geführt. Es handelt sich also nicht mehr um den authentischen Schamir-Plan. Und nicht mehr Schamir, sondern Baker bestimmt heute, wo es langgeht. Außerdem hat Israel auf dem politischen Schachbrett der USA viel von seinem früheren Wert eingebüßt. So machen die USA heute die Gewährung eines Zehn-Millionen- Kredits abhängig vom „guten Benehmen“ der israelischen Regierung.

Vorwahlkampf und interne Probleme in Schamirs Likud

Darüber hinaus hat auch das persönliche Verhältnis zwischen Bush und Schamir, das ohnehin nie besonders herzlich war, im vergangenen Jahr arg gelitten. Prominente Vertreter der Jüdischen Gemeinde in den USA, deren doppelte Loyalität solange kein Thema ist, wie die israelische und die US-amerikanische Politik übereinstimmen, jetzt ernsthaft besorgt über die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Weißen Haus und Schamir. Sie fühlen sich gezwungen, Partei zu ergreifen. So muß Schamir davon ausgehen, daß er in der Frage der Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten nicht mehr auf die unbedingte Unterstützung der Jüdischen Gemeinde zählen kann. Schamir kann aus diesem Teufelskreis nicht mehr heraus, ohne seinen politischen Kurs zu verändern: Er wird sich den politischen Vorgaben Bushs beugen müssen.

Im eigenen Land muß der israelische Ministerpräsident die im November 1992 anstehenden Parlamentswahlen berücksichtigen, die möglicherweise vorgezogen werden. Innerhalb seiner Koalitionsregierung beschuldigen nicht nur die Vertreter der äußersten Rechten, sondern auch manche seiner Likud- Kollegen Schamir, er neige dazu, „dem amerikanischen Druck nachzugeben“. Sollte die jetzige rechtsgerichtete Regierungskoalition bei oder unmittelbar nach dem Auftakt der Konferenz zerbrechen, könnte Schamir immer noch auf das „Sicherheitsnetz“ — sprich die Stimmen — aus Arbeiterpartei und anderen Oppositionsparteien zurückgreifen. Aber eine Koalition mit der Arbeiterpartei zum Zeitpunkt des Wahlkampfbeginns wäre ihm zweifellos ein Dorn im Auge.

Schamirs Likud-Block selbst ist gespalten, und es stehen schon einige Parteifreunde in den Startlöchern, die Parteiführung und damit sein Amt als Regierungschef zu übernehmen. Die israelische Delegation in Madrid wird ständig über die rechte Schulter schauen müssen; schließlich könnte alles, was auf der Konferenz geschieht, Auswirkungen auf die parteiinternen Kämpfe in Israel haben.

Erfolg für die Palästinenser

Die Palästinenser, die aus einer relativ machtlosen Position heraus in die Konferenz gehen, konnten Schamir dennoch ein Schnippchen schlagen: In Übereinstimmung mit Baker konnte der israelische Premier zwar die „offizielle PLO“ de jure aus der gemeinsamen jordanisch-palästinensischen Delegation heraushalten. Aber weil er ganz genau wissen wollte, um wen es sich bei den Mitgliedern der Delegation handelte, stellte sich Schamir bloß; er sah sich mit einem Team aus Delegierten und Beratern konfrontiert, das auf der Linie von Arafats Fatah liegt. Es handelt sich um Persönlichkeiten, die ihre Aktivitäten und Standpunkte mit der PLO-Führung in Tunis abstimmen; in Amman bilden sich neue Beziehungen zwischen den Führern der PLO, den führenden Figuren in den besetzten Gebieten und den jordanischen Behörden heraus.

Die Palästinenser haben einen schweren Stand, weil ihr Schicksal durch Vorbedingungen besiegelt wird. Aber immerhin haben sie sich ihr Selbstwertgefühl und ein erstaunliches Maß an nationaler Einheit bewahren können. Die Spaltung der palästinensischen Bewegung zwischen Arafat und der gemäßigten Linken einerseits und den Radikalen und Islamisten andererseits ist zwar ein nicht zu ignorierender Faktor. Aber Schamirs Offensive gegen die Palästinenser, sein starrköpfiger Formalismus und sein Beharren auf dem letzten Wort in der Frage, wer und vor allem wer nicht die Palästinenser am Konferenztisch vertreten darf, war letztendlich nicht erfolgreich. Er hat sein Ziel, einen Keil zwischen die moderaten PLO-Vertreter in den besetzten Gebiete und die Palästinenser in der Diaspora zu treiben, verfehlt. Derselbe Schamir, der so starrköpfig jedes Gespräch mit der PLO ablehnt, wird sich jetzt mit Palästinenser an einen Tisch setzen müssen, die sich mit den Zielen der PLO identifizieren.

Nach seinen letzten Gesprächen mit Baker in Jerusalem und wenige Minuten vor der offiziellen Übergabe der Einladungsschreiben an Schamir erklärte der israelische Premier, daß Israel an der Friedenskonferenz teilnehmen werde: „Zum ersten Mal haben wir die Möglichkeit zu Verhandlungen, wie wir sie immer wollten: zu direkten Verhandlungen ohne einen Vermittler, ohne Vorbedingungen, von Angesicht zu Angesicht mit unseren arabischen Nachbarn. Zwar weiß auch ich nicht, welches Ergebnis dabei herauskommen wird. Ich werde dem Kabinett aber dringend empfehlen, diesen Weg zu verfolgen, denn ich kenne keinen besseren“, meinte Schamir wenig enthusiastisch.

Insgeheim Hoffnung auf Mißlingen

Die meisten Beobachter in Israel sind sich darin einig, daß dem Miisterpräsidenten keine andere Wahl blieb, daß er seine Einwilligung zur Teilnahme nur sehr ungern gegeben hat, weil eine Weigerung die israelisch- amerikanischen Beziehungen vollends zur Explosion gebracht hätte. So wird die israelische Regierung auch an der Konferenz teilnehmen, obwohl sie nach wie vor davon überzeugt ist, daß das Ganze nichts bringen wird. Und für so manches Kabinettsmitglied deckt sich diese Überzeugung auch mit seiner geheimen Hoffnung. Amos Wollin

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