Zaire: Regierung für illegal erklärt

Staatspräsident Mobutu suspendiert den erst kürzlich ernannten Premierminister Tshisekedi und sperrt ihn von seinem Büro aus/ Tshisekedi will die Bevölkerung aufrufen, ihn zu unterstützen  ■ Aus Kinshasa Bettina Gaus

Stunde um Stunde, von halb neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags, stand am Samstag Etienne Tshisekedi vor seinem Amtsgebäude. Betreten durfte er es nicht: Soldaten hatten dem erst vor wenigen Tagen ernannten Premierminister Zaires den Zutritt verwehrt — ein neuer Höhepunkt in der politischen Krise des Landes. Einige hundert Meter entfernt hatte sich unter einem knorrigen Baum mit weißen Blüten eine Gruppe von Männern in Krawatten und dunklen Anzügen versammelt: Kabinettssitzung. Einer fehlte — der Verteidigungsminister. Den hatte Tshisekedi entlassen.

Hintergrund des absurden Szenarios: der Konflikt zwischen dem wohl prominentesten Gegner des Präsidenten und diesem selbst ist erneut offen ausgebrochen. Tshisekedi hatte sich bei seiner Amtsübernahme vor einigen Tagen geweigert, den Eid auf die Verfassung zu leisten, in der Präsident Mobutu Sese Seko, der seit 26 Jahren mit unumschränkter Macht regiert, als Führer Zaires festgeschrieben wird. Etienne Tshisekedi argumentiert, das Land befände sich in einer Übergangsphase, die Verfassung sei außer Kraft, einzig legitimes Organ sei die Nationalkonferenz, in der Delegierte aller Parteien des Landes über die Zukunft berieten.

Tshisekedi hatte bei der Vereidigungszeremonie zum Stift gegriffen und das Wort „Verfassung“ auf der Ernennungsurkunde schlicht durchgestrichen. Zunächst sah es so aus, als ob das fragile Bündnis zwischen den verfeindeten Partnern daran nicht zerbrechen würde: Mobutu setzte dennoch seine Unterschrift neben die Tshisekedis. Am Freitag jedoch erklärte ein Sprecher des Präsidenten die Ernennungsurkunde für ungültig — Etienne Tshisekedi sei nicht Premierminister, sei es überhaupt niemals gewesen. Mobutu ließt die Regierung für illegal erklären. „Eine groteske Entscheidung“, meint der Journalist Kisonga Mazakala, „auf die Unterschriften haben sie doch noch mit Champagner angestoßen.“

Grotest oder nicht — die Lage spitzt sich zu. „Es geht hier im Grunde um die Frage Legalität versus Legitimität“, sagt ein Diplomat. „Tshisekedi beruft sich darauf, Kandidat des Volkes und nur dadurch legitimiert zu sein. Mobutu beharrt auf dem Buchstaben des Gesetzes.“ Tshisekedis Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Mobutu scheint erschöpft zu sein: „Was zuviel ist, ist zuviel“, erklärte er am Samstag. „Sollte sich an der Situation im Laufe des Wochenendes nichts ändern, dann rufe ich die Bevölkerung von Kinshasa auf, am Montag um acht Uhr mit mir wieder hier zu sein. Dann werden wir uns den Zutritt in mein Büro erzwingen.“

Ist die Entwicklung nur ein weiteres Komma in der unruhigen Geschichte der letzten eineinhalb Jahre? Oder treibt der Konflikt auf die endgültige Entscheidung zu? Noch läßt sich darüber nur spekulieren. Mobutu gilt als unnachgiebiger Mann — kaum jemand glaubt, daß er kampflos das Feld räumen oder gar das Land verlassen würde.

Dem Wagenkonvoi, mit dem Tshisekedi am Samstag zurück in das Hauptquartier seiner Partei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt) fuhr, wurde von der Bevölkerung begeistert zugejubelt. Kinder, Wachmänner, Verkäufer, Mütter mit Babies auf dem Rücken, selbst Verkehrspolizisten und einige Soldaten — sie alle reckten die Finger zum Victory-Zeichen.

Aber Tshisekedis Haltung ist dennoch in der „Union Sacree“, dem Zusammenschluß der wichtigsten Oppositionsparteien, nicht unumstritten. „Ich hätte den Eid entweder so geleistet, wie er da stand, oder ganz abgelehnt, Premierminister zu werden“, erklärte Nguz a Karl- i-Bond, Vorsitzender der Uferi-Partei (Union der Föderalisten und unabhängigen Republikaner), gegenüber der taz.

Steht Kinshasa jetzt eine neue Welle der Gewalt bevor? Die Armee spielt bei der Beantwortung dieser Frage eine zentrale Rolle. Wer kontrolliert sie? „Wer weiß?“ fragt Nguz a Karl-i-Bond. „Niemand!“ sagt ein Diplomat. „Mobutu“, meinen viele der jungen Männer, die am Samstag gemeinsam mit Tshisekedi in der Sonne warteten. Ende September hatten Soldaten in der Hauptstadt schwere Plünderungen verübt. Bis heute hat der Präsident die Aktionen nicht verurteilt.

Löhne und Gehälter halten mit der galoppierenden Inflation auch nicht annähernd Schritt. Eine Krankenschwester oder ein Lehrer verdienen nicht einmal genug, um den Lebensmittelbedarf ihrer Familie zu decken — von Kleidung, Miete und anderen Bedürfnissen des Alltags ganz zu schweigen. Wie überlebt die Bevölkerung? „Es ist keineswegs ein Wunder“, meint dagegen ein Ingenieur aus Kinshasa, „denn wir überleben ja nicht. Schon jetzt verhungern in der Stadt Kinder, und es wird täglich schlimmer.“