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Der versteinerte Riese aus dem Zauberwald auf dem Potsdamer Telegrafenhügel

■ Der Potsdamer Einsteinturm ist 70 Jahre alt — Die Zukunft des Mendelsohn-Bauwerks ist ungewiß

Potsdam. Wer sich auf dem Potsdamer Telegrafenberg, im Gewirr meteorologischer Institute und astrophysikalischer Observatorien, plötzlich einer kleinen lichten Parklandschaft gegenübersieht in deren Mitte ein weißer märchenhaft geformter Turm steht, glaubt sich verwandelt. Der Eingang gleicht einer Höhle, die mit weit ausladenden Armen den Besucher förmlich in sich hineinzieht. Dahinter erhebt sich, wie ein versteinerter Riese aus dem Zauberwald, der Turm mit Kuppel, dem ein halbrunder Anbau folgt. Die Fenster hängen tief in kurvigen Ausbuchtungen. Die unteren Geschosse fallen schräg nach allen Seiten ab und kündigen die Fortsetzung der Architektur unter der Erde an.

Das »Zentralinstitut für Astrophysik«, besser bekannt unter dem Namen »Einsteinturm«, ist ein Meisterwerk expressionistischer Architektur. Das Gebäude, das Erich Mendelsohn im Auftrag der Einstein-Stiftung als Observatorium zur Erforschung der Relativitätstheorie und den spektralen Erscheinungen entwarf, liegt wie ein anthropomorphes Wesen in der hügeligen Topographie des Telegrafenberges. Der Baukörper umschließt in seinem Innern ein Turmteleskop, das die Sonnenbilder durch den Schacht und über Umlenkspiegel in das unterirdische Laboratorium leitet. Angegliedert sind ein winziger Übernachtungsraum und ein Arbeitszimmer, in dem bis heute das von Mendelsohn gestaltete Mobiliar steht. 1921 feierte der Turm Richtfest.

Als Erich Mendelsohn 1920 den Auftrag durch Vermittlung seines Freundes Erwin Finlay-Freundlich erhielt, hatte sich der Architekt längst in Vorgesprächen mit dem Astrophysiker über das Thema »Sternwarte« vertraut gemacht. So war die innere Organisation des Baus, eine funktionale Abfolge der Räume, durch die Forschungsvorhaben festgelegt. Das Äußere jedoch unterwarf Mendelsohn einer ästhetischen Form, deren Phantastik schon in den Zeichnungen seiner Schützengrabenzeit im ersten Weltkrieg zu sehen war. In den Skizzen von der russischen Front, die 1919 bei Paul Cassierer erschienen, tauchten jene visionären Konstruktionen unter kühnen Bogen und mit windschiefen Kuben erstmals auf, die Mendelsohn mit dem neuen Baustoff Eisenbeton zu bauen hoffte.

Entgegen den ursprünglichen Planungen konstruierte Mendelsohn den 15 Meter hohen Turm nicht als Betonschale, sondern in Mauerwerk. Den Anschein weicher Plastizität wollte der Architekt dennoch nicht aufgeben. Er überzog den Turm mit einer dicken Zementhaut, die den formbaren Baustoff erahnen ließ.

Wegen seiner stolzen 70 Jahre, einer Sprengbombe und späteren Überformungen — dicke Bleche auf den Fenstersimsen, ein neues Dach und falscher Schutzanstrich, der Feuchtigkeit ins Gebäude zieht und den Putz bröseln läßt — strahlt der Turm eine abgeplatzte Märchenfrische aus, die renoviert werden muß: Jürgen Staude, Leiter des Einsteinturms, sieht dringenden Handlungsbedarf für das »erste europäische Observatorium für polarimetrische Messungen« in der Isolierung der Fundamente, des Mauerwerks und in einem neuen Schutzanstrich. Ein Baugutachten bei der Potsdamer Denkmalbehörde ist derzeit im Auftrag. Die Zukunft des solarterristischen Instituts, das nach der Auflösung der Adademie der Wissenschaften der DDR vom Wissenschaftsrat mit »sehr guten Noten evaluiert wurde« (Staude), ist dennoch ungeklärt: Ab 1. Januar 1992 gilt das »Zentralinstitut« als abgewickelt. Ob es als Stiftung des Bundes, als Landeseinrichtung oder als Teil der Sternwarte Babelsberg aufgeht, steht in den Sternen. Rolf R. Lautenschläger

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